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Roman
Anna Wede wird auf eine Professur an einer Schweizer Hochschule berufen. Sie liebt ihre Wohnung, von der aus sie auf einen mächtigen Berg blickt, sie ist fasziniert von der ins Hochtal gelegten Stadt. Nicht zum ersten Mal hält sie ihre Vorlesung zur künstlichen Kreatur, in der sie auf Ideen der Antike ebenso eingeht wie auf Agenten und Avatare der Gegenwart. Lydie ist eine aufmerksame und zielstrebige schweizerische Studentin. Ihre Einladung zum Weintrinken in einem Lokal schlägt Anna nicht ab. Sie nähern sich an, vor allem körperlich und äußerlich. Die Studentin könnte Annas Phantasie entsprungen sein. Aber ihre Macht über die Professorin ist real.
Oliver Bendel: geb. 1968 in Ulm, studierte Philosophie und Germanistik (M.A.) sowie Informationswissenschaft (Dipl.-Inf.-Wiss.) und promovierte im Bereich Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen, Gedichte und Kurztexte u.a. in der Zeitschrift neue deutsche literatur (ndl), Gedichtband "Die Stadt aus den Augenwinkeln" (Alkyon Verlag), Roman "Nachrückende Generationen" (Leipziger Literaturverlag)
Leseprobe:
Was für ein Glück, hoffentlich, hier zu sein. Die Wohnung ist immer noch kleiner als die in ihrem Kopf, im dritten Zimmer vermisst Anna die Türe zum vierten. Sicher wird bald das deutliche Nichtvorhandene an der Wand zugewachsen sein vom undeutlichen Vorhandenen. Die Wohnung ist nur nach innen klein, nach außen ist sie groß durch den Blick aus dem zweiten Zimmer auf den Berg. Der Berg ist nicht weit, aber weit genug, dass er in den Rahmen passt zusammen mit den zwei Fahnen des Himmels und der um ihn kreisenden Sonne, zusammen mit den Fahnenhaltern, den Hügeln zu beiden Seiten, und den Ausläufern der Stadt im Tal. Die Stadt ist nah, unter ihr, der Berg dort, nicht fern.
Sie räumt Bücher aus den noch am besten erhaltenen Kartons in die Regale. In jedes Buch schaut sie hinein, sucht nach Zeichnungen, Kaffeeflecken, Notizen. Die meisten Bücher sind leer, irgendwann hat sie aufgehört, etwas neben die Texte zu schreiben. Oder etwas zu verschütten. Oder etwas an den Rand zu zeichnen, als Studentin hat sie das zuletzt getan, an der Universität in Fachbüchern und zu Hause in Dichtungen. Etwas zum Inhalt oder zur Geschichte, wenn die Gedanken noch nah, oder ein Tier oder eine Pflanze, wenn sie schon weit weg waren.
Obwohl sie promovierte und habilitierte Informatikerin ist, werden bloß zwei Regalbretter voll mit Fachbüchern sein, die restlichen Bretter mit Romanen und Gedichtbänden bestückt, dazu noch Mythen, Sagen und Legenden, die sie früher eher zögerlich gelesen hat und in der Zwischenzeit für eine Vorlesung braucht. Wieder kommt in der Reihe ein leeres Buch da-zu, das mit seiner beschriebenen Rückseite die beschriebene Vorderseite des letzten bedeckt. Allmählich kann der Blick über die Buchrücken schweifen, die Autoren und Titel erah-nen. Nur die ausländischen Bücher lassen innehalten, den Kopf um 180 Grad drehen.
Wenn sie nachts zur Toilette geht, findet sie die Lichtschalter nicht oder nicht auf Anhieb. Sie drückt an der falschen Stelle, dort, wo bisher der Schalter war. Es ist seltsam, die Tapete zu spüren, wenn man Plastik erwartet, aber noch seltsamer, wenn sich nichts drücken lässt, sondern beinahe etwas ande-res drückt. So bleibt jeder Raum, den sie durchquert, dunkel, bis zum Klo, wo sie nach einiger Suche das Licht an-, dann aber wieder ausmacht, weil sie gern im Dunkeln pinkelt. Im Dunkeln tappt sie auch zurück, bis sie auf das Bett trifft, das sie verlassen müssen hat.
Es ist das erste Mal, dass sie im Ausland arbeitet. Es ist nur die Schweiz, aber man hat ihr gesagt, dass die Schweiz ein Ausland ist, nicht nur eine Fortsetzung des eigenen Lands im Süden. Sie hat erstmals eine Aufenthaltsgenehmigung gebraucht. Die Universität, an der sie in einer Woche anfangen wird, erklärte und half. Auf dem Ausländeramt hat sie unbeholfen wirken wollen, obwohl sie sich eigentlich beholfen gefühlt hat. Einzig in der Sprache fühlt sie sich tatsächlich unsicher, selbst wenn sie ihren eigenen Namen sagt, Anna Wede. Das andere ist fast wie Urlaub.Was für ein Glück, hoffentlich, hier zu sein. Die Wohnung ist immer noch kleiner als die in ihrem Kopf, im dritten Zimmer vermisst Anna die Türe zum vierten. Sicher wird bald das deutliche Nichtvorhandene an der Wand zugewachsen sein vom undeutlichen Vorhandenen. Die Wohnung ist nur nach innen klein, nach außen ist sie groß durch den Blick aus dem zweiten Zimmer auf den Berg. Der Berg ist nicht weit, aber weit genug, dass er in den Rahmen passt zusammen mit den zwei Fahnen des Himmels und der um ihn kreisenden Sonne, zusammen mit den Fahnenhaltern, den Hügeln zu beiden Seiten, und den Ausläufern der Stadt im Tal. Die Stadt ist nah, unter ihr, der Berg dort, nicht fern.
Sie räumt Bücher aus den noch am besten erhaltenen Kartons in die Regale. In jedes Buch schaut sie hinein, sucht nach Zeichnungen, Kaffeeflecken, Notizen. Die meisten Bücher sind leer, irgendwann hat sie aufgehört, etwas neben die Texte zu schreiben. Oder etwas zu verschütten. Oder etwas an den Rand zu zeichnen, als Studentin hat sie das zuletzt getan, an der Universität in Fachbüchern und zu Hause in Dichtungen. Etwas zum Inhalt oder zur Geschichte, wenn die Gedanken noch nah, oder ein Tier oder eine Pflanze, wenn sie schon weit weg waren.
Obwohl sie promovierte und habilitierte Informatikerin ist, werden bloß zwei Regalbretter voll mit Fachbüchern sein, die restlichen Bretter mit Romanen und Gedichtbänden bestückt, dazu noch Mythen, Sagen und Legenden, die sie früher eher zögerlich gelesen hat und in der Zwischenzeit für eine Vorlesung braucht. Wieder kommt in der Reihe ein leeres Buch da-zu, das mit seiner beschriebenen Rückseite die beschriebene Vorderseite des letzten bedeckt. Allmählich kann der Blick über die Buchrücken schweifen, die Autoren und Titel erahnen. Nur die ausländischen Bücher lassen innehalten, den Kopf um 180 Grad drehen.
Wenn sie nachts zur Toilette geht, findet sie die Lichtschalter nicht oder nicht auf Anhieb. Sie drückt an der falschen Stelle, dort, wo bisher der Schalter war. Es ist seltsam, die Tapete zu spüren, wenn man Plastik erwartet, aber noch seltsamer, wenn sich nichts drücken lässt, sondern beinahe etwas ande-res drückt. So bleibt jeder Raum, den sie durchquert, dunkel, bis zum Klo, wo sie nach einiger Suche das Licht an-, dann aber wieder ausmacht, weil sie gern im Dunkeln pinkelt. Im Dunkeln tappt sie auch zurück, bis sie auf das Bett trifft, das sie verlassen müssen hat.
Es ist das erste Mal, dass sie im Ausland arbeitet. Es ist nur die Schweiz, aber man hat ihr gesagt, dass die Schweiz ein Ausland ist, nicht nur eine Fortsetzung des eigenen Lands im Süden. Sie hat erstmals eine Aufenthaltsgenehmigung gebraucht. Die Universität, an der sie in einer Woche anfangen wird, erklärte und half. Auf dem Ausländeramt hat sie unbeholfen wirken wollen, obwohl sie sich eigentlich beholfen gefühlt hat. Einzig in der Sprache fühlt sie sich tatsächlich unsicher, selbst wenn sie ihren eigenen Namen sagt, Anna Wede. Das andere ist fast wie Urlaub.