Manuel Alegre
Wieder einmal verlor ich den Koffer. Ich bin im weißen Flughafen einer weißen Stadt. Suche ein Taxi, doch sämtliche Taxis sind schon abgefahren. Ich weiß nicht einmal mehr, wo ich bin. Ich stelle fest, daß es keine Busse mehr (oder noch nicht wieder) gibt. Vielleicht träume ich ja. Vielleicht auch nicht. Vielleicht bin ich ja wach im Traum. Exil, sagen sie, Verbannung. Und das ist es. Ein weißer Flughafen in einer weißen Stadt. Ein Notfall und Niemand.
1.
Später wird es heißen, daß es sich um eine weitere Falle gehandelt habe,
daß eine Brigade bereitstand, sie in Madrid abzufangen, es nur durch Zufall
nicht dazu kam, durch einen Irrtum in der Zeit und des Orts. Doch wie soll
man sicher sein, wie wissen, ob es stimmt oder nicht, und wie konnten sie
vorhersehen, daß dem so war, vor allem nach dem skandalösen Tod des Generals?
Doch es war ja möglich, daß es stimmte, später konnte alles geschehen sein,
wer weiß, ob es nicht zutraf, daß zwei Stunden zuvor eine Brigade in dem
Café dem Restaurant gegenüber war, wo sich Rafael, Jorge Fontes und Manuel
Maria trafen. Es war lange nach Angola und nach dem Gefängnis, lange sogar
nach jenem Tag, an dem sie ankam, atemlos, Leocádia, die Zugehfrau, auch
sie erledigte ein paar unbedeutende Arbeiten im Haus des Polizeikommandanten:
Flieh, mein Junge, flieh, denn sie werden dich wieder festnehmen, es war
die Tochter des Kommandanten, die mich bat, dich zu warnen. Ja, es war lange
vor diesem Tag, an dem sie mir heimlich ein Briefchen zusteckte, ich las
es nicht einmal, steckte es in die Tasche, Isabel, meine Mutter, suchte
einen Reisekoffer, noch voller Etiketten der großen Hotels in Europa, sie
war nervös, doch sicher, sie wußte, daß es vielleicht unabänderlich war,
doch sie weinte nicht, beherrschte sich nur dann nicht, als Filipa, meine
Großmutter, mir fünftausend Escudos aushändigte: Nimm, sagte sie, du wirst
sie mit Sicherheit brauchen, und ich werde dich nie wiedersehen.
Es war lange nach diesem Aufbruch, man wird sogar sagen, daß einer der höchsten
Chefs des Regimes zugegen war, alles sei sorgfältig vorbereitet gewesen,
der falsche Deserteur eingeschleust in Algerien, die Zusammentreffen in
Paris von ihm organisiert, sogar, dieses Mal, die Bekanntschaft mit dem
spanischen Geheimpolizisten und dessen Duldung. Vieles wird man lange Zeit
später sagen, tausendmal wird die Wahrheit erlogen, tausendmal die Realität
in Fiktion verwandelt sein. Doch an diesem Tag, zu jener Stunde, in diesem
Restaurant, demselben, das ein Kommando der ETA lange Zeit später zerstören
würde, an diesem Tag, zu dieser Stunde, an diesem Ort, treffen sich nur
Rafael, Jorge Fontes und Manuel Maria, während in Madrid zwei Abgesandte
von der Pide eintreffen, ich kann beinahe schwören, daß ich weiß, wer sie
sind, doch wenn ich es sage, wird man mich beschuldigen, Geschichte und
Fiktion durcheinander zu bringen, alles durcheinander zu werfen, Wahrheit
und Verstellung, als ob so nicht das Leben selbst wäre, die Schrift.
Aus dem Portugiesischen von Markus Sahr, aus: Rafael, © ERATA 2007