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Esther Tusquets

Die subtilen Gesetze der Symmetrie

Eigentlich gab es keinerlei Grund, weshalb Carlos ärgerlich auf sie sein könnte, keinerlei Grund, um eifersüchtig und noch viel weniger um traurig zu werden (was das Schlimmste wäre), hatte sich Sara Mal für Mal wiederholt, seit dem Augenblick, in dem der Andere, Diego, dieser zurückhaltende und melancholische Junge, sie am Flughafen seiner Stadt verabschiedet hatte, und sie im letzten Augenblick geküßt hatte, als man schon die Passagiere zum Besteigen des Flugzeugs aufrief, so als wolle er den Duft und Geschmack ihres Mundes erheischen und zurückhalten, indem er sie heftig umarmte, mit einer Geste, die etwas Tieftrauriges an sich hatte, einer Umarmung wie der eines Kindes, das von seiner Mutter Gott weiß für wie lange zurückgelassen wird, vielleicht gar für immer („ich kann dir nichts versprechen“, hatte Sara vorbeugend klargestellt, „ich kann dir nicht einmal garantieren, daß wir uns wiedersehen“, und dann war sie ohne jeden Grund in die Defensive gegangen „ich schulde dir nichts.“ und er, auf einmal sarkastisch, ja beinahe aggressiv „natürlich schuldest du mir nichts, du brauchst das gar nicht zu sagen.“) Und vor allem gab es keinerlei Grund, daß sie, Sara, sich Carlos gegenüber schuldig fühlte (so wie sie sich ja auch nicht gegenüber diesem Jungen schuldig fühlte und weder verstand, warum sie nicht einfach alle drei glücklich bleiben konnten, noch warum einer von ihnen leiden sollte), nichts, was stark genug gewesen wäre, um sie zum Heucheln, Verbergen, Lügen zu zwingen, wo Sara doch Heuchelei und Lüge immer gehaßt hatte, denn schließlich war auch die Situation Carlos gegenüber (ihm gegenüber mehr als jedem anderen) vor zwei Jahren klar gewesen, an dem Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten (an dem Tag, an dem sie Liebe machten, denn sie hatten sich am selben Tag zum ersten Mal geliebt, an dem sie sich kennengelernt hatten, wobei Sara sich von einer gefährlichen Verrücktheit hatte hinreißen lassen, dieser faszinierenden und tödlichen Fata Morgana, dieser schädlichen Krankheit, gegen die wir dennoch keinerlei Mittel finden wollen, diese Leidenschaft, die unkontrolliert alle Hindernisse niederreißt und die alles vermag, alles über den Haufen rennt und alles einreißt, die im ganzen Universum das Oberste zuunterst kehrt, die uns dazu treibt, zu reagieren und zu handeln und zu denken und zu fühlen, so als ob wir uns selbst fremd wären – alles, was in uns gesund und vernünftig geblieben ist, wird nichtig und ohnmächtig angesichts des Lärms, mit dem das Porzellan zerschlagen wurde – diesem bösartigen Fieber, das sich mit Liebe füllt und das uns zur selben Zeit so ungerecht, böse, unschuldig, egoistisch, losgelöst und großherzig, so schrecklich macht) alles zwischen ihnen war abgesprochen, hatte sich Sara im Flugzeug wiederholt, das sie von einer Stadt in die andere, von einer Liebe zur anderen brachte – sagte sie sich lächelnd – und dennoch, als sie auf diesem unbekannten Flughafen die Abfertigung erledigt und das Gepäck abgeholt hatte und dann Carlos traf, der sie erwartete (seltsam, daß er sie ausgerechnet heute abholte, wo er dies im Laufe der zwei Jahre fast nie getan hatte), und der sie auch mit einer ungewohnten Heftigkeit küßte, so als käme Sara vom anderen Ende der Welt, wo man sie gegen ihren Willen gefangengehalten hätte, so als wären sie eine lange, lange Zeit voneinander getrennt gewesen, obwohl sie sich tatsächlich nur ein paar Tage nicht gesehen hatten, an denen Carlos es nicht vermeiden konnte, hier eine Arbeit zu Ende zu bringen, mit der man ihn beauftragt hatte, und auch er umklammerte sie in einer engen Umarmung (als er nicht zu befürchten hatte, daß Sara wie ein Traum verschwinden, wie ein Parfum in Dunst aufgehen könnte), fühlte sich die Frau unbehaglich und schlecht, sie spürte, daß Carlos entgegen jeder Logik leiden und sie sich entgegen jeder Logik schuldig fühlen könnte.

Sie versuchte, es ihm im Wagen zu sagen, bevor sie Mónica und Miguel abholen und zu viert eine gemeinsame Reise machen würden, um so die Minuten zu nutzen, die sie noch allein waren. Aber sie fühlte sich ängstlich und war voller Bedenken und Scham, unfähig einfach zu sagen „mich hat dieser Junge angerufen, den wir im Konzert kennengelernt haben und der dir von Beginn an überhaupt nicht gefiel, dieser Typ, von dem du wolltest – und du hast nie etwas Ähnliches von mir verlangt – daß ich ihn nicht mehr sähe, also, er hat mich angerufen und wir haben uns getroffen und ich habe mit ihm geschlafen“ und so hörte sie sich zögernd stammeln „ich habe etwas getan, was dir nicht gefallen wird“ und das war der Ton, den sie als kleines Mädchen annahm, wenn ihre Mama nach Hause kam und sie etwas Schlimmes angestellt hatte und an der Wohnungstür auf sie wartete, um es ihr sofort zu sagen (Sara war es unmöglich, frei von Schuld und in Frieden mit sich selbst zu sein, ohne diese weltliche Parodie einer Beichte), um ihr zu erklären, daß sie die chinesische Vase im Wohnzimmer kaputt gemacht oder die Kinderfrau dumm genannt oder einen heftigen Zusammenstoß mit ihren Geschwistern gehabt hatte, sie hatte dann ein eingeschüchtertes und zögerliches Stimmchen, die das Flehen um Verzeihung schon vorausnahm, nur daß Sara jetzt und hier wohl wußte, daß es überhaupt keinen Grund um Verzeihung zu bitten gab, nicht einmal einen, um es zu erzählen (warum erzählte sie es eigentlich?), angesichts der Tatsache, daß sie das vor zwei Jahren ja geklärt hatten, und es Carlos, nicht sie, gewesen war, der ausdrücklich eine Unabhängigkeitserklärung geleistet, der sein unveräußerliches Freiheitsrecht proklamiert und erklärt hatte, sie niemals auf diese romantische und totale Art zu lieben, wie es manchmal Pubertierende anstrebten (Unabhängigkeit und Recht, die für sie beide viel Wert hatten, denn er wollte auf keinen Fall so etwas wie eine asymmetrische Beziehung, nur daß Sara zur damaligen Zeit nie gedacht hätte, wie sie dies hätte nutzen können und zu welchem Zweck, Willensbekundungen, denen sie sich nicht hatte anschließen können, weil sie begonnen hatte, ihn auf die einzige Art wie das junge Mädchen zu lieben, das in ihr überlebt hatte, die Liebe verstand). Es war Carlos gewesen, der ein für alle Male und im Namen aller beider beschlossen hatte, daß das was immer auch sich zwischen ihnen ereignet hatte, nichts mit der großen, verrückten Liebe zu tun hatte, und daß dies doch wohl eher gelassene und zivilisierte Freundschaft zweier Erwachsener sei, die einander – ohne Exzesse oder Exklusivität – zu schätzen wußten, sich gegenseitig respektierten, ähnliche Neigungen hatten, sich gut vertrugen und Liebe auf befriedigende Art und Weise machten („außerordentlich befriedigend“, hatte Carlos mit einem bösen Leuchten in den Augen gesagt, und um den Mund herum hatte er dabei das Lächeln eines zufriedenen Katers, der sich den Bart leckt, ein rechthaberischer und selbstzufriedener Kater, der sich rühmte, entdeckt zu haben – und zwar als einziger aller Kater –, wie lecker Weißfisch sei, und er hatte etwas wie „gut im Bett sein“ hinzugefügt und darüber, daß sie, Sara „eine Göttin im Liebemachen“ sei, darin so außergewöhnlich, daß einem Mann, der sie besessen hatte und dann verlor, nichts anderes übrigbliebe, als Mönch oder homosexuell zu werden, und Sara verursachten solche so schmeichelhaften Behauptungen eine Gänsehaut der Unbehaglichkeit und des Unglaubens, auch wenn sie sich nie zu fragen traute, was das denn mit dem „gut im Bett sein“ bedeuten solle, sie fand nie den Mut zu fragen, was sie beide denn im Bett machten, was alle anderen nicht täten und worin sie alle anderen Frauen überträfe) und daß der eine dem anderen nichts weiter schulde als diese wechselseitige Lust und eine Loyalität, die sich zwischen zwei Freunden einstellt und die nichts mit der Treue zu tun hat, die Paare einander abverlangen. (Daß Sara die große romantische Liebe erlebte, weil sie kein anderes Schema oder Modell von der Liebe hatte, daß sie den Mund voller großer Worte hatte, war eine Sache, die nur an ihr lag und die sie alleine lösen mußte.)

„Ich habe etwas getan, was dir nicht gefallen wird“ hatte Sara mit diesem Ton eines kleinen Mädchens begonnen, das eine Missetat begangen hat, aber Carlos verstand nicht und begann zu raten, sie nach ihrer Büroarbeit zu fragen, nach einem Besuch beim Geburtshelfer, nach Beziehungen zu Freunden, und das machte es Sara noch schwerer, und es war noch härter, ihn zu unterbrechen und zu erklären „nein, nein, darum geht es nicht.“ Und dann, unter dem Schlucken ihres Speichels und ohne mit der Wimper zu zucken, wie bei ihrem „Diego hat mich angerufen und ich bin mit ihm ausgegangen“ zu sehen, wie Carlos sich versteifte, wie sein Ausdruck sich für einen Moment änderte, und dann ihr ungeschickter Versuch sich zu rechtfertigen („du hast kein Recht, ärgerlich zu werden, wir waren uns doch darin einig, daß wir frei sind zu tun was wir wollen, das hast du doch festgelegt, erinnerst du dich?“ und Carlos, der starr geradeaus sah und beide Hände um den Lenker krallte, so als fordere das Lenken des Wagens auf einmal seine ganze Aufmerksamkeit „ja, das habe ich vorgeschlagen, aber seitdem ist viel Zeit vergangen“ und Sara, bestürzt, wirklich überrascht „willst du damit sagen, daß sich unsere Situation seit damals geändert hat? Aber du hast nie etwas davon gesagt!“ und er „es gibt Dinge, die braucht man nicht zu sagen, die sind von selbst offensichtlich, wie konntest du das nur nicht bemerken, wo du doch so einfühlsam und sensibel bist?“) und um dann linkisch zu versuchen, es in Ordnung zu bringen, weil es Sara nicht gefiel, ihn so leiden zu sehen, und noch weniger, wenn sie der Grund dafür war („aber wieso ist das wichtig für dich? Das hat nichts mit dir zu tun, ich bin schließlich immer mal mit Männern ausgegangen und das war dir nie wichtig, manchmal hast du das sogar begünstigt, es amüsierte dich“ und Carlos, bitter und hartnäckig „dieses Mal ist es anders“ ohne genau zu erklären, was denn anders wäre, ob es die Tatsache sei, daß es sich um Diego handelte, oder die Haltung Saras oder seine eigene, oder der Ort, oder die Art und Weise, oder die Gelegenheit, und er bestand nur darauf, daß es jetzt etwas anderes sei, und Sara tat so, als verstünde sie nicht, wobei sie um jeden Preis versuchte dies zu leugnen, aber im Stillen sagte sie sich, daß Carlos vielleicht Recht hätte und daß darin etwas Anderes und Neues läge, und auf einmal wußte sie es: Die anderen vorherigen Geschichten hatte sie immer in Bezug zu Carlos erlebt oder wegen Carlos und um für Carlos etwas zu erreichen, auch wenn es nur gewesen war, um ihn ein wenig interessierter an ihr zu sehen oder ihn ein wenig eifersüchtig zu machen, auch wenn das nur etwas war, was er selbst behauptete oder um ihn wegen seiner unschuldigen Brutalitäten zu bestrafen, während es sich jetzt um eine selbstständige Geschichte handelte, eine Geschichte zu zweit und nicht zu dritt, eine Geschichte, die Carlos indirekt betraf, aber die nicht mehr um seinetwillen geschah).

Sie waren bis zum Abend nicht mehr allein, als sie sich im Hotelzimmer zurückzogen. Den ganzen Tag über, vor Mónica und Miguel, die sich zwar befremdet ansahen, doch keine Fragen stellten, war Carlos scheu und melancholisch gewesen, ohne sich in die Unterhaltung zu mischen und hatte Sara bisweilen mit einer traurigen Festigkeit angesehen, und Sara hatte sich liebevoll und eifrig um ihn bemüht gezeigt, sie hatte ihn mit dieser Rücksicht verwöhnt, mit der man sonst Kranke behandelt (sie sprach sogar ganz leise zu ihm), beide auf dem Weg der Besserung – so schien es – von einem Leiden, das sie beide sensibel und verwundbar gemacht hatte. Und als sie die Zimmertür hinter sich schlossen, gestattete ihr Carlos nicht, das Gepäck zu ordnen, ließ sie nicht ins Bad gehen, sich ausziehen, sondern krallte sich an ihr fest, und sofort dort, auf dem Teppich stehend, vor dem großen Schrankspiegel, zog er sie aus und gab ihr zärtliche Klapse, und dann hielt er sie so, nackt vor dem Spiegel, und zwang sie dazu, sich anzusehen, sich zu bewundern („hast du gesehen, wie hübsch du bist?“), und dann kniete Carlos, hielt sich an ihren Backen fest, steckte den Kopf zwischen ihre Beine, und biß ihr in die Scham, und Sara protestierte „du tust mir weh!“ aber das stimmte nicht, er tat ihr kaum weh, und es gefiel ihr, es gefiel ihr, daß er sie gleich dorthin legte, auf den Teppich und mit dieser völlig ungewohnten Heftigkeit in sie eindrang, bei ihm waren diese Momente – so dachte sie – des Hasses und der Liebe so intensiv, und beide fochten auf dem nackten Frauenkörper eine harte Schlacht miteinander aus, und aus dieser Intensität und diesem ambivalenten Gefühl heraus keimte eine jähe und schwierige Lust, und Sara mochte es, daß er sie schlecht und dann wieder gut behandelte, sie zum Schreien brachte (als erst einmal die Scham gefallen war, was denn die Gäste der anliegenden Zimmer denken könnten) und sie dann in den Armen zum Bett trug, und sie dann wie eine gerade zerbrochene Puppe dort ablegte, die so erschöpft war, daß sie sich nicht einmal mehr bewegte und reglos in derselben Haltung blieb, in der er sie hinterlassen hatte, und er sich dann neben sie legte und sie heftig umarmte und seinen Kopf in der Beuge ihrer Schultern verbarg. Bis sie merkte, daß Carlos weinte, ihr mit seinen Tränen die Schulter, das Haar, das Kissen naß machte, er weinte traurig und ohne jedes Geräusch, und er hatte nie zuvor vor ihr geweint und nun, wo er begonnen hatte, schien er nie wieder aufhören zu können, und Sara versuchte, sich loszumachen, um ihm ins Gesicht sehen zu können, aber er widerstand ihr, und dann beschränkte sie sich darauf, ihn langsam und mechanisch über das Haar zu streichen, und dann endlich, brachte Carlos noch immer weinend und ohne sie anzusehen vor „sieh ihn nicht wieder, Sara bitte, sieh ihn nicht wieder.“ Und dann „was zwischen uns beiden ist, ist so wundervoll, und wenn du ihn weiterhin siehst, weiß ich, daß ich dich verlieren werde“ und Sara küßte ihn auf die Stirn, aber – und dies verstand sie selbst nicht – sagte nichts, versprach nichts.

Sie machten nun die ganze Nacht Liebe, fast ohne Pausen, so, wie sie es nie getan hatten, nicht einmal in den ersten Wochen, nachdem sie sich kennengelernt hatten, denn Carlos erregte die Angst sie zu verlieren, die Wut mit der er sich vorstellte – und zu wissen, daß dies nicht nur eine Vorstellung war –, wie sie mit einem anderen im Bett war, und Sara ihrerseits war erregt, weil er etwas von Besorgnissen und Befürchtungen, von seiner stummen Traurigkeit, seiner dunkeln Wut auf sie übertragen hatte, oder vielleicht, weil ihre Beziehung nun intensiver und literarischer war als in jedem früheren Augenblick, und Sara ihr eigenes Leben erlebte wie irgendeinen schlechten Roman. Es lag etwas Krankes in der Art mit der sie sich liebten – sagte sie sich –, eine gewisse extreme Sensibilität, eine gewisse krankhafte Empfänglichkeit, die man sich unter gesunden erwachsenen Menschen nicht bieten sollte, und die der Welt der Kinder und Verrückten vorbehalten war. Und nach der Liebe, die Parenthesen öffnend, vor dem unermüdlichen Neubeginn, schlief Carlos nicht ein, drehte ihr nicht den Rücken zu oder stand auf, um eine Zigarette zu rauchen, sondern Carlos umarmte Sara weiter und sagte Dinge zu ihr, die er nie zuvor gesagt hatte, Dinge, auf die Sara im Laufe der beiden Jahre gewartet und die sie versöhnt hätten und für die sie jeden Preis bezahlt hätte, nur um sie zu hören, und die sie jetzt unerwartet und zur Unzeit anfielen, als sie es müde war auf sie zu warten, und sie waren so viel wie eine verrückte Erfindung der Sehnsucht, einer Sehnsucht des nie Besessenen – dachte sie – und dies ist die schlimmste aller Sehnsüchte. Und Carlos wiederholte seine Liebeserklärungen („niemand hat dich je so geliebt wie ich, Sara, du weißt nicht, wie sehr ich dich liebe“, und Sara lächelte und küßte ihn und sagte, daß sie ihn ja auch sehr liebte, daß das wahr sei, und es war ja auch wahr, obwohl sie sich im Stillen fragte, warum Carlos sagte „ich bin derjenige, der dich am meisten geliebt hat“, statt zu sagen „du bist es, die ich am meisten geliebt habe“, und dann kam der Moment der Selbstanklagen („ich bin schuld an dem, was jetzt geschehen ist, ich habe dir nicht gegeben, was du verdientest, was du wolltest“, und sie beruhigend und liebenswürdig als spräche sie zu einem Kind „was für ein Unsinn, warum denkst du das? Alles war, auch für mich, ganz wunderbar“, und er „aber du wolltest doch mit mir zusammenleben und ein Kind mit mir bekommen!“ und Sara, faul und vergeßlich („tatsächlich? Wollte ich das? Das muß wohl schon lange her sein“ und er verärgert, nah daran, wirklich wütend zu werden „willst du damit sagen, daß du das jetzt nicht mehr willst?“ und sie versuchte zart, aber konsequent ihm gegenüber zu sein „nein, ich will nicht mit dir leben, nein, nein ich will kein Kind von dir“ wobei sie ohne nachzudenken sprach und verblüfft ihre eigenen Wort zu hören, die jedem Nachdenken vorausgingen), der Moment der Vorwürfe und der flehentlichen Bitten („du empfindest Mitleid gegenüber jedem, sogar gegenüber einer entlaufenen Katze, aber es ist dir egal, mich so leiden zu sehen“ und Sara „natürlich ist mir das wichtig, mir ist das wichtiger als alles andere, ich liebe dich mehr als jeden anderen“ und Carlos „dann laß ihn doch, versprich mir, ihn nicht mehr zu sehen, weil unsere Sache sonst kaputtgeht, wenn du Diego weiterhin siehst, du kannst uns nicht beide behalten“ und Sara vielleicht eher naiv denn zynisch „aber warum denn das?“ ohne ihre Beute loszulassen, ohne etwas zu versprechen, wobei sie zuzulassen begann, daß sie möglicherweise entscheiden könnte, mit Diego um jeden Preis weiter zu machen, obwohl sie, als sie sich von ihm am Flughafen verabschiedet hatte, zu ihm gesagt hatte „ich bin nicht sicher, ob wir uns wiedersehen“ und „ich schulde dir nichts“ und sie davon überzeugt gewesen war, es sei nur ein triviales Abenteuer, ein böser Kleinmädchenstreich, der Carlos verärgern würde – eine Art, die Aufmerksamkeit ihres Papas endgültig zu wecken – obwohl sie es nie so weit treiben wollte, daß ihre Beziehung zerbräche, bis jetzt undenkbar die Möglichkeit eines Bruchs, während nun, in den langen Nächten von Liebe und Krieg – sie liebten sich vielleicht öfter als jemals zuvor, aber kämpften wild um den Willen oder das Rückrat des jeweils anderen zu brechen –, sah sie sich versucht zuzugeben, daß es sich um mehr als das handeln konnte, etwas anderes als das, was sie vorher erlebt hatte, auch wenn sich Carlos halb und halb darin irrte nach den Gründen zu suchen und verzweifelt fragte „was macht Diego mit dir, was ich nicht auch könnte? Wie kann es denn sein, daß er dir mehr Lust bereitet als ich und als wir beide, die wir einander jede Nacht neu erobern?“ unfähig, sich irgendeinen anderen Grund auszumalen, und Sara traute sich nicht, ihn aus seinem Irrtum zu befreien, und ihm zu gestehen, daß Diego kaum ein trauriger Schatten war, der sich an seine Seite stellte, jemand, den er sich gemeinsam mit diesen alten Geschichten, vergessenen Mythen wiedererfand, während der Plattenspieler spielte und sie es hinter den Scheiben dunkel werden sahen, Diego war beim Liebemachen nichts Besonderes, es handelte sich nicht darum, daß er ihr mehr Lust bereitete, es handelte sich nicht einmal mehr darum – dachte sie eines Nachts überrascht – daß sie Carlos satt hätte, wie er annahm „ich habe dich schlecht behandelt, ich habe dir nicht gegeben, was du verdienst, ich habe dich leiden lassen“ und das stimmte, aber es ging nicht darum – und auch nicht darum, daß die Zeit ihre Geschichte irreparabel zerstört hätte, sondern es war deshalb – so entdeckte sie – weil die Geschichte von Anfang an falsch angegangen und falsch aufgezogen worden war und vor allem, weil sie sich eine zu schwierige und anstrengende Rolle ausgesucht hatte – es war sehr schwer, sich zwei ganze Jahre lang ohne jede Schwäche als romantisch Liebende zu gebärden, sich selbst grenzenlos zu verleugnen, grenzenlos verständnisvoll, ohne möglichen lyrischen Vergleich – und sie hatte sie sich angeeignet und nun war sie dessen müde und sah nicht, wie sie eine andere Rolle einnehmen, oder die Rollen wenden könnte, ohne die ganze Geschichte zunichte zu machen ).

Sie machten die ganze Nacht über Liebe, und in den Parenthesen sprach er pausenlos, und verlor immer mehr an Boden, und auch immer mehr Terrain, ohne zu erreichen, daß Sara nachgab, denn sie bemitleidete und verwöhnte und tröstete ihn, versprach jedoch zu keinem Augenblick irgend etwas (die weltliche Beichte forderte sichtlich nicht nach der Absicht einer Buße – dachte sie, in dem Teil ihrer selbst, der den anderen analysierte und beurteilte, als handelte es sich um einen Fremden – oder vielleicht war ihr die Absolution einfach nicht mehr wichtig), und Sara fühlte sich immer und immer sicherer, in dem Maße, in dem er kenterte (so sehr sie ihn auch noch liebte, und so sehr es sie auch traurig machte, ihn leiden zu sehen, war da eine unvermeidliche und unwillkürliche Befriedigung darüber, schließlich die subtilen und unerbittlichen Gesetze der Symmetrie triumphieren zu sehen), und sie schliefen im Morgengrauen ein, als schon das erste Licht des Morgengrauens des neuen Tages durch die Fenster drang, und sie verließen die Zimmer der verschiedenen Hotels nicht vor Mittag, und Carlos – neugierig, unermüdlich, beispielhafter Tourist – war es nun egal, Städte, Museen, Geschäfte, Landschaften zu verlieren, genauso wie er aufgehört hatte, sich darum zu bekümmern – er, der immer so schamhaft war – was Mónica und Miguel erraten oder annehmen könnten, und er ließ zu, daß sie sich zu zweit das Fahren des Wagens teilten, und setzte sich mit Sara nach hinten, auch wenn er sich zunächst beschränkte, sich ganz dicht neben sie zu setzen, ihr das Haar zu streicheln, ganz leise zu ihr zu sprechen, ließ er sich dann nach dem dritten oder vierten Reisetag darauf ein, sie in gewagterer und bedrängender Form zu liebkosen, und Sara sah ihn verblüfft an, aber sie gab sofort belustigt nach und sie berührten und erregten sich von nun an, als seien sie ein Paar, das nie zuvor miteinander geschlafen hatte und keinen Ort hatte, um allein sein zu können, und sie quälten und befreiten ihr Fieber in den dunkelsten Ecken eines Cafés im Schatten, in den hintersten Kinoreihen und in Tornischen, und so etwas hatte es zwischen ihnen zu Beginn ihrer Geschichte überhaupt nicht gegeben und tauchte nun ungereimter Weise am Ende auf, dachte Sara, und es war das erste Mal, daß in ihren nächtlichen Zeiten des Wachseins das Wort „Ende“ aufschien, und das machte sie traurig, genauso wie die Feststellung sie traurig stimmte, daß nur vor der Erlangung des Objektes, oder wenn man kurz davor ist es zu verlieren, die größte Intensität des Begehrens erreicht wird.

Sie machten die ganze Nacht Liebe, standen Mittags verschlafen und mit Augenrändern auf, erfanden im hinteren Wagenteil seltsame Formen der Lust – während Mónica und Miguel den Blick fest auf die Landstraße richteten und miteinander so sprachen, als seien sie die einzigen, die im Auto säßen – und sogar auf der Straße, in den Restaurants, in den Geschäften hielt Carlos sie um Taille oder Schultern, ergriff ihre Hand, verschränkte seine Beine unter dem Tisch mit den ihren und suchte ihre nackten Füße, in einer weiten und komplizierten Skala flüchtiger Kontakte, so als befürchte Carlos, sie könne sich in Luft auflösen oder weglaufen, wenn dieser körperliche Kontakt nur für einen Augenblick aufhören würde, er wurde um so verzweifelter und verrückter je mehr die Reise ihrem Ende entgegenging, und Sara – gegen ihren Willen, ja sich sogar dafür verachtend und anklagend, daß sie so empfand – wurde immer distanzierter und selbstbewußter, nun dazu fähig, die Tatsachen zu beurteilen und die Schäden einzuschätzen, vielleicht weil sie, ohne es zu wollen und zu wissen, von ihrer Krankheit genesen war, und sie stand nun endgültig am anderen Ufer, und Carlos hatte aufgehört ihr die ganze Welt zu sein, seine geringste Verärgerung bauschte sich nun nicht mehr zur Weltkatastrophe auf, seine Launen und Wünsche wurden ihr nicht mehr zum Gesetz, sondern er war nur ein weiterer Mann, der gegen die Strömung kämpft, der Schiffbruch erlitt, der aber auf die ein oder andere Art – dessen war sich Sara sicher – an die Wasseroberfläche treiben und überleben würde, falls es stimmt, daß niemand (und Carlos wohl weniger als irgend jemand anders) aus Liebe stirbt.

Und als Carlos sich in der letzten Nacht betrank (er, der nie trank) und völlig die Beherrschung über sich verlor, das Bewußtsein darüber, was er tat, vergaß er Mónica und Miguel völlig, die einander erschrocken ansahen, und sich nicht trauten einzugreifen und auch nicht wußten, wohin sie schauen sollten, und er begann sie lauthals anzugreifen, sie laut schreiend zu beschimpfen, wobei er sie und alle anderen Frauen mit schrecklichen Worten titulierte und bis zum Überdruß wiederholte, Sara sei eine üble Nutte, und es gäbe zwei Klassen von Frauen: die Guten und die Nutten, und die Guten, das seien Frauen wie seine Mutter oder seine Schwestern, die als Jungfrauen in die Ehe gingen und nur mit ihrem Ehemann vögelten, und vielleicht empfanden sie nicht einmal mit dem tatsächlich Lust, und es fiele ihnen gar nicht ein, an andere Männer zu denken, Frauen, unter denen sich jeder vernünftige Mann seine Gefährtin aussuchen müßte, und nicht wie er, der verrückt und lasterhaft und verloren und im tiefsten Grunde seines Herzens ein Träumer war, weswegen ihn die guten Frauen nicht im mindesten interessierten oder ihm gefielen, und so hatte er sich in eine der anderen verliebt, in eine dieser verdammten Hurentöchter einer Oberhure, die mit einem ins Bett gingen, wobei sie einem schworen, es sei das erste Mal, daß sie Liebe machten, und dann nach zwei Jahren stiegen sie mit irgendeinem anderen ins Bett, mit dem ersten, der ihres Weges kam, Frauen, die man nicht aus dem Puff herausholen, sondern die man dort genießen sollte, zu einem vereinbarten Lohn und ohne etwas von sich selbst preiszugeben, statt das zu tun, was er getan hatte, der sich wie ein Idiot in diese üble Nutte verknallt und ihre Flunkereien und vorgebliche Zimperlichkeit und ihre schlechte Literatur geschluckt hatte, und er war auch noch so verrückt nach ihr, daß er ihr selbst hier und jetzt noch vorschlüge doch zu heiraten, denn er schaffe es nicht, er schaffe einfach nicht ohne sie weiter zu leben, er könnte es nicht schaffen, das Bild von ihr im Bett eines anderen zu ertragen und angesichts dessen opfere er nun seine Würde und sei bereit zu vergessen, wer sie sei und bereit ihr zu verzeihen, was sie war und sogar von dieser Nutte zu verlangen ihn gleich jetzt zu heiraten, und als Sara dann ihrerseits die Geduld verlor und auch schrie, obwohl sie nur einen Satz schrie, zweimal denselben Satz „nie, nie werde ich dich heiraten, daß du’s nur weißt, ich werde dich nie heiraten“ und dann sprach sie ohne nachzudenken und hörte sich selbst verblüfft zu, „eher würde ich Diego heiraten“, das war nur eine symbolische Geste, die ihrer Geschichte ein Ende setzte, die sie versiegelt und abgeschlossen und für alle Zeit zurückließ (unmöglich daran zu denken, sie wieder aufzunehmen, etwas davon zu retten, nachdem er solche Brutalitäten gesagt hatte, aber vor allem nach dem Sara gegen ihn, wie eine sichere und unweigerlich tödliche Waffe ihr „eher würde ich Diego heiraten“ angeführt hatte), der letzte Pinselstrich, der das verletzte Gleichgewicht wiederherstellte und den Endtriumph der Symmetrie proklamierte.

(aus dem Spanischen von Susanne Detering, Sieben Mädchenblicke auf dieselbe Landschaft, ERATA 2008)

 

 



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