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Momčilo Nastasijević

1894 – 1938, bedeutender serbischer Lyriker, Romancier, Dramatiker, Essayist sowie Gymnasiallehrer für Französisch in Belgrad, der zu seinen Lebzeiten nur in einem Kreis von Künstlern bekannt war, postum aber vor allem in Serbien hoch geschätzt wurde und wird.

Veröffentlichung im Leipziger Literaturverlag

Sind Flügel wohl... Gedichte und Prosa. Zweisprachig. Aus dem Serbischen von Robert Hodel, LLV 2013

Nastasijević ist einer der bedeutendsten serbischen Dichter des 20. Jahrhunderts und hat eine enorme Wirkung auf mehrere Generationen südosteuropäischer Schriftsteller ausgeübt. Er fesselt durch die ihm eigene Spiritualität, Sinnlichkeit und sprachliche Originalität. Seine Dichtung schlägt einen spannungsvollen Bogen von der Verwurzelung im südslawischen Raum hin zur europäischen Moderne. Nastasijević gelingt es, das Autochthone und Lokale auf eine universale Ebene zu heben, und begibt sich damit auf Augenhöhe zu den französischen Symbolisten, den deutschen Expressionisten sowie den russischen Futuristen. Seine Sprache ist hochmetaphorisch, teilweise hermetisch und äußerst musikalisch. Virtuos nimmt er Anleihen aus der mittelalterlichen Literatur und aus der Folklore (sog. „folklorni arhaizmi“), arbeitet mit Wortneuschöpfungen, Auslassungen sowie gebrochenen Satzstrukturen. Diese Ausgabe stellt ersten Versuch dar, Nastasijević’ Texte umfassend ins Deutsche zu übertragen. Um den Dichter in seiner ganzen Vielfalt vorzustellen, enthält der Band neben dem Hauptwerk Sieben lyrische Kreise eine Erzählung, das Manifest Für eine muttersprachliche Melodie sowie eine Einführung in Leben und Werk.

Stimmen

„Wir scheinen zu vergessen, daß wir wahrhaft große Lyriker – nach europäischem und allgemeinem Maßstab – auch in diesem Jahrhundert haben. Unter ihnen ist unseres Erachtens M. Nastasijević einer der ersten. Noch mehr, seine 75 Gedichte, die sieben lyrischen Kreisen zugeordnet sind, gehören zur Spitze serbischer Lyrik überhaupt.“ Novica Petković

Die schwermütigen Gedichte des Momcilo Nastasijevic: Ein serbischer Dichter der Moderne zum Entdecken
Ralf Julke, L-IZ

Über das Menschenmögliche hinaus
von Mónika Koncz auf fixpoetry

Ein serbischer Hermetiker
von Ilma Rakusa in der NZZ

Robert Hodel im Interview

Sind Flügel wohl...

Mirjana Wittmann, Bonn, in den Südosteuropa Mitteilungen, 3/2014

Oft steht man ratlos vor den in diesem Band enthaltenen Gedichten, angefangen mit dem Vers, der ihm den rätselhaften Titel gab, bis zu den Zeilen in „Wehmut“:

Tage leuchten auf

Mädchen sterben Pflanzen

lieblich still.

Der Versuch, anhand der im Original abgedruckten Gedichte (der lyrische Teil des Buchs ist zweisprachig) zu mehr Klarheit zu gelangen, scheitert kläglich. Denn das serbische Original ist ebenso unzugänglich oder genauso mehrdeutig wie seine Übertragung ins Deutsche. Beim Parallellesen gelangt man vielmehr zu der Erkenntnis, dass die deutsche Übersetzung, die zwar auf den Reim verzichtet, dafür aber dem Stil und der Wortwahl der Vorlage treu folgt, dem Dichter aufs Wunderbarste gerecht wird.

Der Dichter ist Momčilo Nastasijević. Zwischen den beiden Weltkriegen bis zu seinem frühen Tod 1938 schuf er ein buntes Werk aus Gedichten, Erzählungen, Theaterstücken und Essays. Der vorliegende Band enthält außer seinem Hauptwerk „Fünf lyrische Kreise“ eine Erzählung und einen Essay. Geboren 1894 in der serbischen Kleinstadt Gornji Milanovac war Momčilo Nastasijević Zeitgenosse von Ivo Andrić, MilošCrnjanski und Miroslav Krleža, die alle ebenfalls aus der Provinz stammten. Aber im Unterschied zu seinen berühmt gewordenen Schriftstellerkollegen blieb ihm Zeit seines Lebens die Anerkennung versagt, ja er wurde wegen der Unverständlichkeit seiner Poesie sogar als Verunstalter der serbischen Sprache abgetan. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann eine neue Generation serbischer Dichter sich für Nastasijevićs Spiritualität und Sinnlichkeit zu begeistern. Breite Popularität erreichte er dennoch nie.

Dafür ist seine Poesie zu hermetisch, zu dicht, schwer lesbar. Die Regeln der Grammatik und der Syntax ließ er oft zugunsten der Melodie zurücktreten. In seinem hier veröffentlichten Essay „Für eine Mutter-Melodie“ weist Momčilo Nastasijević, der auch ein glänzender Musiker war, auf eine enge Verbindung zwischen der Poesie und der Musik hin. Der Ton, die Melodie war für ihn entscheidend in der Kunst und folglich in der Poesie. Daher wandteer sich in einer Zeit, in der die serbische Poesie sich fremden Einflüssen öffnete, den Ursprüngen seiner Muttersprache zu und verlieh dadurch, wie der Literaturkritiker Borislav Mihajlović-Mihiz hervorhebt, der heutigen Sprache eine neue Melodie.

Nastasijevićs Sprache greift auf mittelalterliche und volkspoetische Muster zurück, bleibt gleichzeitig jedoch ganz gegenwärtig. Dieser ungeheuerliche Spagat hat den Übersetzer und Herausgeber Robert Hodel besonders fasziniert. Auf der einen Seite berührt das Rurale, das Heimatliche, das kindlich Reine, auf der anderen erstaunt die völlig moderne Sichtweise. Zwischen diesen beiden Welten, zwischen dem Ursprünglichen und dem Universalen, entsteht eine große Spannung, betont der Übersetzer, der als Slawistik-Professor an der Universität Hamburg lehrt.

An den Gedichten der „Fünf lyrischen Kreise“ hat Momčilo Nastasijević als Gymnasiallehrer in Belgrad jahrelang gefeilt, von manchen sogar an die zwei Dutzend Varianten geschaffen, wobei sein Bestreben erkennbar ist, mit möglichst reduzierter Sprache möglichst viel mitzuteilen. Oft wurden Verben zugunsten der Substantiva ausgelassen, unübliche grammatikalische Regeln aufgestellt, eine veraltete Syntax benutzt, eine freie Wortfolge betrieben und dabei Mehrdeutigkeiten bewusst in Kauf genommen. Erwähnt sei auch das archaische und folkloristische Vokabular der Gedichte, das den Belgrader Literaturprofessor ĐorđeTrifunović veranlasste, zu Nastasijevićs Lyrik ein Glossar zu erstellen.

Angesichts solcher schier unüberbrückbarer Hürden muss man den Wagemut, die mühevolle Arbeit und das daraus resultierende gelungene literarische Ergebnis von Robert Hodel würdigen. Umso eher, als Nastasijević die Ansicht vertrat, die Poesie sei als Melodie unübersetzbar. Obwohl schon als Student früh dem Werk Nastasijevićs zugetan, musste Hodel mehrere Kenner in Serbien konsultieren, ehe sein Buch zustande kam. Das enthält neben den erwähnten Übersetzungen ein ausführliches und liebevoll gestaltetes und mit Fotos ergänztes Vorwort. Auf diese Weise kann man Bekanntschaft sowohl mit dem Werk als auch mit der Vita dieses eigenbrötlerischen und einzigartigen serbischen Poeten machen, dessen Gedichte sich bei wiederholter Lektüre dem Leser zunehmend öffnen und ihn dabei in eine neue Empfindungswelt entführen.

 

 


 

 

Zum Übersetzer:
- Robert Hodel

Zum Buch:
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