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Herbert Kollenz

aus: "Marmotta"

In jenem Sommer ist ihr Land in seinem Land Weltmeister geworden. Und sie haben es nicht bemerkt. Inzwischen wissen sie es beide, und sie weiß jetzt auch, wie der Wasserspülkasten funktioniert. Wasserspülkasten, ein Wort wie Inhaltsverzeichnis. Denn für alles gibt es eine Losung. Eine Losung? Eine Lösung! Ihre Losung für alles ist – für alles gibt es eine Lösung.
Doch es ist und bleibt schwierig, in verschiedenen Zungen zu sprechen. So kommt es immer wieder zu Missstimmungen, wenn er einfach nicht kapieren will, was sie sagt. Deshalb bleibt manches unausgesprochen. Das hat auch seine Vorteile. Doch oft ist es hinderlich. In dieser Verlegenheit lernt er die unsinnigsten Vokabeln, marmotta etwa – das Murmeltier.

Mein erster Satz in deiner Sprache, sagt er, war pannelli di grande valore, non conficciare chiodi. Es steht an den Wänden der Güterwagen.
Und was heißt das?
Hochwertige Wandplatten, nicht hämmern, nicht nageln. Ich war achtzehn, ich hatte achtzehn Jahre, sagt er.
Du hast ihn vierzig Jahre nicht vergessen.
Ich hatte ihn jede Nacht vor Augen. Als Schüler verdiente ich bei der Post mein Geld. Das Beladen der Wagen mit Paketen war so eintönig; und das einzige, das ich dabei lesen konnte, war diese Warnung an den Wänden, pannelli di grande valore, non conficciare chiodi. Ich las es still, oder manchmal auch laut, um dieses neue Latein zu hören; es war in diesen Nächten meine einzige Lektüre.

© ERATA 2009


 

 


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