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Debatte: Brauchen wir unabhängige Verlage?

Game over oder Reset?
Der Verlagsumbruch, zwei neue und viele alte Bücher

Beitrag von Daniel Ketteler, poetenladen 27.08.2009

Ammann und Engeler stellen den Betrieb ein, Kookbooks in Nöten und die Regale voll mit Fun und Fantasy. Dazu die aktuellsten Blut-und-Sperma-Operetten, Tankstellen­literatur nebst den neusten Spiessbürgerlichkeiten irgendeines einsam vor sich hindämmernden, selbst­erklärten Kulturchefs. Was ist los in unseren Buch­handlungen? Game over in der Verlags­landschaft (Standard, Dante Andrea Franzetti, 21.08.09)? Oder Neustart? Die Ladenlokale, sie wachsen stetig, allein für die sogenannte hehre „Literatur“ bleibt eine halbe Wand. Neben Mankell prangen Kaffee-Pads, was zählt sind Gewinn­margen pro Fläche. Aber entgegen allem Kulturpessimismus: das ist womöglich DIE Chance für die Literatur! Es wird wieder Platz frei für ökologische Nischen, die den Selbstzweck guter Literaturproduktion feiern. Keine Frage, es wird wohl werden wie im Musikmarkt: die Großen verzetteln sich in Trash, die Mittleren werden aussterben, dazu die Digita­lisierung und was bleibt, ist der Multi und eine kleine (aber unabhängige?) Anarchie. Ist das der Keim, aus dem die Renaissance erwächst, ist es der stille Rebound einer nicht nur unterhalten, sondern den Menschen erklären wollenden (Achtung: Sen­dungs­bewusst­sein) Literatur?

Zum Glück, es gibt sie noch, Verlage, die der zunehmenden Ver­trashung mit Qualität begegnen, indem sie stoisch ihre Arbeit als Literaturvermittler ernst nehmen (auch Dank Quer­finan­zierungen). Zu diesen Dinosauriern gehört u.a. der Göttinger Steidl Verlag. Nehmen wir das Debut von Ruth Johanna Benrath. Aufatmen schon beim Blick auf das Cover, keine Seidenschenkel, kein allzu schwulstiger Titel. Dagegen eine schlicht-witzige Paraphrasie: „Rosa Gott wir loben Dich“ [...]

Wo wir schon bei Marc Degens wären über dessen jüngere Prosa der Kollege Kapielski lakonisch urteilte: „Dieses Buch ist gut!“ Warum also all diese feuilletontypischen Superlative eines neuen Kafka, Benn oder Döblin bemühen? Eben jener Kapielski schimpfte wiederholt auf den Debutantenquatsch im deutschsprachigen Literaturbetrieb und ist auch sonst wohl eher ein Sympathisant Degensches „Abweichens“. Degens reflektierte bereits Jahre vor der jetzigen (teils noch ignorierten) Krise des Buchhandels über die Mechanismen der (Hoch-) Literatur­industrie. So beginnen die gesammelten Degenschen Essays in „Abweichen“ denn auch mit einer identifikatorischen Gegensympathiebekundung, denn „der Weg des 1951 geborenen Charlottenburgers (Kapielski, Anm. d. Verf.) zu den Lesermassen war lang und entbehrungsreich: Selbstverlag, Arbeitsamt, Armut.“ Kapielski rüpelte und grölte sich in den Literaturbetrieb hinein. Dazu Ausstellungen im Dunkeln, bei denen ein Kühl­schrank so umgebaut war, dass er nur von innen leuchtete, wenn er geschlossen war. Künstleridole wie Kippenberger, Roth oder Büttner werden zitiert. Degens setzt auch hier eigene Wegmarken. Wie bei den jüngst erschienen, journalistischen Fauser Texten (Alexander Verlag, jetzt auch Diogenes) scheint klar, dass sich gerade die Abweichler unter den Künstlern ihres Ortes immer wieder versichern müssen. Da ist die durchaus berechtigte Angst vor der Einverleibung durch die Hochkultur und zugleich die heimliche Sehnsucht danach. Alle diese sehr lesenswerten und amüsanten Essays Marc Degens' fokussieren ehrgeizige Antikarrieristen, auch T.Raumschmiere sei ja „rockig, rotzig und irgendwie asozial, so wie der Schwitzkasten eines älteren, nach Zigarettenrauch und Schweiß riechenden Schul­kameraden.“ Dietmar Dath kommt in einem Interview zu Wort, Céline wird, bei aller Problematik, gewürdigt, denn er „dekonstruierte die Gattung, pfiff auf Narration und Linearität, verbannte jede literarische Künst­lichkeit aus seinem Werk und verschnürte die knorrigen Handlungsbrocken mit seinem furienhaften, einzigartigen Stil …“

Die sich aufdrängende Frage hinter dem Degenschen Opus ist: Wo und wie finden derartige Abweichler heutzutage ihren Platz? Da ist natürlich der von Degens erfolgreich betriebene Sukultur-Verlag, zudem Yedermann, Wallstein, Blumenbar, da ist Suhrkamp, die sich nach langer Vorarbeit (und einem Hesse-Tantiemen­regen) einen Dath, einen Kapielski leisten – aber das war es dann auch schon fast. Die Frage ist, ob nicht neue, autonome Strukturen ein Ausweg aus dieser den Abweichlern gegenüber so widrigen Markt­situation bieten könnten? Projekte wie Kookbooks, ein hoch­anspruchs­voller Verlag als Zusammen­schluss von Autoren, Lyrikern, ein Vorhaben welches, wie sollte es auch anders sein, ohne Mäzene, Eigen­beteiligung (Selbstausbeutung?) oder die besagte Quer­finanzierung leider nicht auskommt. Doch wo sind diese heutigen Mäzene? So teuer ist doch eigentlich gar nicht, ein paar Bücher zu pro­du­zie­ren und ein idealis­tisches Häufchen Germanisten darin zu unterstützen, selbst­aufopfernd dafür ein­zutreten? Und auch wenn große Verlage 30.000 Euro für einen neuen Titel ausgeben (Börsenblatt) werden diese hierdurch nicht unbedingt besser, oder gar verkäuflicher. Sind das am Ende nicht die gleichen Fehler der Musikindustrie? Ist das alles etwa ein Déjà-vu? Mit Geld­ausgeben allein war auch dort kein Boden mehr zu retten, da halfen keine Michael Jacksons in Freiheits­statueng­röße, der Markt ist diversifiziert wie ein Flickenteppich. Schlägt nun also die Stunde der Indies?

Nach dem Sterben der Majors hat sich in der Musik­szene bereits eine durchaus eindrückliche Gegenkultur etabliert, hier publizieren und pro­du­zieren sich die Bands mittler­weile (und keines&wegs nur die erfolglosen) höchst­selbst. Zitat Emily Haines (übrigens Tochter eines Kana­dischen Dichters) und Sängerin der Band Metric: „Ich glaube, dass sich die Künstler meiner Generation sagen: so schwer ist es gar nicht, ein bisschen Ahnung von den Dingen zu bekommen“ (Musikexpress, 08/09). Der Retter, er wird nicht kommen. Wann beginnt die Literatur also abzuweichen ...? Wo finden sich Spielwiesen für Experimente, wo findet es noch statt, das Betreten von literarischem Neuland? Wo sind sie, die Renegaten, Brandstifter, die kleinen Revolutionen? Was ist mir den Büchners unserer Tage? In welchem Gebirg warten sie zu und auf was? Die arrivierte Vermottung jedenfalls wartet nicht selten, so scheint es, an der Wiege der hübsch frisierten Jungautorenschar. Wollen die das so?

Warum gleicht das Betreten eines gemeinen Buchladens heute zunehmend einem masochistischen Akt? Klar, die Verlage, sie müssen Jobs halten, das ist löblich, die Firma usw., das ist nicht zu verübeln. Und auch die Leser verweigern sich nach einem langen Arbeitstag medialem Overkill und inmitten einer prekären Lebenssituation zunehmend einer anspruchsvollen Lektüre. Vielleicht hilft hier nur (denn die Mittleren werden, analog zum Musikbetrieb kaum Chancen haben) die Gründung von Kleinstverlagen weiter, begleitet von einem Plädoyer für mehr Stipendien und staatliche Literaturförderung. Klar, Sozialismus­verdacht, Planwirtschaft usw. Aber ernsthaft: gründet Verlage, bestellt in Zukunft via TUBUK, wegen mir auch bei amazon, aber bitte Degens oder Benrath.


Die Dinge beim Namen nennen
Beim Feilschen um Rabatte und Boni gehen Unternehmen an die Grenzen der Preisbindung – und darüber hinaus. Ein Blick durchs Schlüsselloch, mit drei Interviewpartnern, die lieber anonym bleiben.

An dieser Stelle würden normalerweise Kurzbiografien unserer Gesprächspartner stehen. Das ist diesmal anders. Denn die drei erfahrenen Buchmenschen hatten den Mut zu einer Offenheit, die es angeraten sein ließ, dass sie selbst anonym bleiben. Wir bezeichnen sie mit ihrer beruflichen Funktion und durchweg in der männlichen Form. Das mehrstündige Gespräch fand im April in den Redaktionsräumen des BÖRSENBLATTS statt.

Es heißt, die Verlage finanzieren mit enorm hohen Rabatten das Wachstum der Buchhandelsketten. Warum geben Sie den Forderungen nach?

Vertriebsleiter: Wir haben doch gar keine Chance, mit den Großen wirklich auf Augenhöhe zu verhandeln. Unternehmen unserer Größenordnung werden zum Jahresgespräch in die Zentralen der Marktführer zitiert, worüber ich allerdings nicht unglücklich bin. Schließlich können wir dort unser Programm vorstellen, besprechen, was man werblich und aktionsmäßig gemeinsam machen kann. Bei den Terminen geht es aber nicht ums Schulterklopfen, sondern es wird immer aufs Neue in irgendeiner Form eine Verbesserung der Bezugsbedingungen erwartet.

Zwischenbuchhändler: Im Übrigen leisten auch die Zwischenbuchhändler ihren Beitrag zur Expansion der Großen. Die Forderungen von Filialisten liegen so hoch, dass man durch Boni und Skonti fast drei Viertel der Handelsspanne verliert. Das kann nur ein Zuschussgeschäft sein! Aber es gibt anscheinend Lieferanten, die diese Forderungen erfüllen und so das Wachstum der Ketten mit unterstützen.

Wenn die Barsortimente bei diesen Geschäften nicht wirklich verdienen – ziehen Sie dann bei den kleineren Verlagen, die von einer Barsortimentslistung abhängig sind, die Daumenschrauben an?

Zwischenbuchhändler: Ich behaupte, dass wir mit allen unseren Kunden und Lieferanten gleichermaßen fair umgehen. Das ist vielleicht nicht immer zu unserem Vorteil, wenn es um Konditionen geht, die uns von Verlagen eingeräumt werden.

Welche Rabatte räumen Sie den Großen denn ein?

Vertriebsleiter: Thalia erhält von uns den Höchstrabatt von 50 Prozent. Darüber hinaus gibt es keine Vereinbarung. Das war früher anders. Da gab es 48 Prozent, einen fest vereinbarten Werbekostenzuschuss sowie einen Wachstums- und Remissionsbonus. In der Summe lagen wir deutlich über 50 Prozent. Diese Boni haben wir zugunsten eines höheren Rabatts gekappt, weil sie bei unserer Verlagsentwicklung ausuferten und außerdem zu viel Aufwand verursacht haben. Bei Osiander sind es 45 Prozent Rabatt.

Zwischenbuchhändler: Sie geben also manchen Buchhändlern einen höheren Rabatt als dem Barsortiment!?Das ist ein klarer Verstoß gegen das Preisbindungsgesetz.

Wird bei Verhandlungen schon einmal mit einer Auslistung gedroht?

Vertriebsleiter: Nein, bisher weder seitens des Buchhandels noch seitens des Barsortiments.
Buchhändler: Weil Sie brav machen, was man von Ihnen verlangt?

Vertriebsleiter: Selbstverständlich habe ich schon Forderungen erfüllt, die unangenehm sind, die mir aber vor dem Hintergrund der Verlagsentwicklung bei diesem speziellen Kunden nötig erschienen.

Sind 50 Prozent das Ende der Fahnenstange, oder ist da noch Luft nach oben?

Vertriebsleiter: Bei Thalia würden wir aussteigen, wenn 51 oder 52 Prozent zur Debatte stünden. Im Moment verdienen wir noch etwas – sagen wir es einmal so. Ich bin allerdings der Meinung, dass Verlage sehr häufig an die absolute Schmerzgrenze gehen, um ihre Marktpräsenz zu sichern. Ansonsten ist bei 50 Prozent noch lange nicht Schluss. Man denke an Weltbild oder Amazon, da liegt die Messlatte eher bei 55 plus. Und Amazon verlangt zudem versandkostenfreie Lieferung. Trotzdem sind viele der großen Kunden noch rentabel, denn zum Beispiel sind die Remissionsquoten viel geringer. Bei Amazon haben wir 0,5 Prozent Remissionen. Eine Buchhandlung mit einem Umsatz von einer Million Euro kommt häufig auf eine Quote von 60 bis 70 Prozent.

Zwischenbuchhändler: An solche Rabatte, schon gar nicht an die des Versandbuchhandels, kommt der Zwischenbuchhandel nicht ran. Von Rabatten über 50 Prozent können wir nur träumen.

Buchhändler: Das ist eine verhängnisvolle Entwicklung, wenn Verlage solche Zugeständnisse machen. Sie erkaufen sich Präsenz und Wachstum durch hohe Rabatte, das wiederum bedroht langfristig auch ihr Überleben schwer. Wir steuern bewusst auf eine Situation zu, wo der Markt von wenigen Großkonzernen beherrscht wird, die ihren Lieferanten immer mehr abverlangen. Dabei leben wir schon jetzt in einem nicht gesetzeskonformen Zustand, und jeder weiß das.

Warum bleibt dann ein lautstarker Protest aus?

Zwischenbuchhändler: Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist niemand bereit, die Dinge beim Namen zu nennen. Aufgestellte Behauptungen müssten bewiesen werden. Das ist schwierig. Boni und Werbekostenzuschüsse stehen nicht auf der Rechnung. Und vermutlich kennen nicht einmal alle Mitarbeiter der großen Filialisten die Konditionen, sondern nur die obere Führungsebene.

Vertriebsleiter: Manchmal entsteht der Eindruck, dass es in der Buchbranche ähnlich zugeht wie beim Doping im Radsport: Wer mit Missständen an die Öffentlichkeit geht, wird zwar Ruhm ernten. Im eigenen Umfeld seiner Großkunden und Verlagskollegen wird er aber zum schwarzen Schaf und auf ewig kein Bein mehr auf den Boden bekommen.

Könnten die Verlage sich nicht zusammentun und überhöhten Forderungen gemeinsam widerstehen?

Vertriebsleiter: Ich habe in dieser Hinsicht wenig Zutrauen in die Einigkeit der Verlage. Es müsste schon eine Art Letter of Intent geben, den alle unterzeichnen. Das wäre ein sehr interessanter Versuch, bei dem wohl einige Marktteilnehmer die Köpfe einziehen würden. Ich erinnere nur an Thalias Versuch, bei den Verlagen Zuschüsse für Umbaumaßnahmen einzufordern. Die Tinte unter den empörten Antwortschreiben war noch nicht trocken, da haben Verlage schon vieles erfüllt, was verlangt wurde. Beweisen kann ich das Ganze selbstverständlich nicht.

Warum diese Heuchelei?

Vertriebsleiter: Das weiß ich nicht. Selbst Kollegen, mit denen ich sehr lange und sehr gut bekannt bin, nennen keine konkreten Zahlen. Aber es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass die Zahlen nicht trotzdem ans Licht kommen. Sie stehen immer mal wieder auf dem Prüfstand. Zum Beispiel hat der DBH-Zusammenschluss mit ziemlicher Sicherheit ein Konditionengefüge offenbart, das Hugendubel so nicht erwartet hatte. Nach dem Zusammenschluss konnte Hugendubel ja sehen, welche Konditionen Habel und Weiland eingeräumt wurden. Bei Thalia und Buch & Kunst dürfte das übrigens ähnlich gewesen sein.

Wie dynamisch haben sich in den letzten Jahren die Konditionenforderungen verändert?

Vertriebsleiter: Bei Hugendubel waren und sind die Schritte extrem klein und lassen uns Luft. Die Sprünge bei Thalia waren allein durch die ausgehandelten Wachstumsboni wesentlich größer. Andere Ketten wie die Mayersche, Pustet oder Osiander arbeiten unserer Erfahrung nach weit weniger aggressiv.

Können die großen Verlage offensiver in die Konditionenverhandlungen gehen als die kleineren?

Vertriebsleiter: Meiner Meinung nach nicht. Wenn Konzernverlage behaupten, sie geben Thalia keine 50 Prozent und kommen auch mit ihren gesamten versteckten Gratifikationen nicht über diesen Wert hinaus, dann würde ich sagen, sie sind unehrlich.

Wie wichtig sind denn die führenden Buchhandelsketten für die Verlage?

Vertriebsleiter: Die Abhängigkeit ist sehr groß. Wenn wir mit unseren drei größten Kunden Amazon, DBH und Thalia über Kreuz wären, sie uns nicht mehr am Zentrallager listen würden, wäre unser Verlag in deutlichen Schwierigkeiten. Für einen Verlag ist es ein echtes Problem, wenn die 15 besten Kunden plus die Barsortimente 65 Prozent des Umsatzes erzielen. Der große Rest der Buchhandlungen ist also mit nur 35 Prozent Umsatzanteil dabei. Das ist allerdings das Dilemma der meisten Verlage.

Wie entscheidend für Konditionen sind gute Kontakte?

Vertriebsleiter: Gute Beziehungen haben zunehmend weniger Bedeutung. Trotzdem denke ich, dass man über den menschlichen Faktor zu einer guten und bezahlbaren Zusammenarbeit zu beiderseitigem Vorteil kommen kann. Allerdings herrscht zunehmend die Mentalität: Uns ist egal, was mit dem Geschäftspartner passiert. Hauptsache, ich komme mit dem Ergebnis nach Hause, das mir mein Chef vorgegeben hat. Da heißt es dann: Das ist noch nicht das Ergebnis, das ich mir vorgestellt habe. Wir müssen noch ein bisschen verhandeln.

Lassen sich die Ketten für prominente Plätze in der Buchhandlung oder im Regal bezahlen?

Vertriebsleiter: Wir haben das nie probiert, und es ist auch nie an uns herangetragen worden. Gehört habe ich es aber schon häufig. Listungen im Zentrallager beispielsweise kann man sich durchaus erkaufen, etwa durch eine Beteiligung an bestimmten Werbemitteln. Das leuchtet mir allerdings auch ein.

Buchhändler: Die Entwicklung geht in diese Richtung: Wer bezahlt, erhält bessere Präsentationsmöglichkeiten.

Zwischenbuchhändler: Andere Branchen machen das schon länger – das ist nicht immer vorteilhaft und schränkt die Möglichkeiten der Händler ein, die Produkte zu präsentieren, die sie für die besten halten. Auch hier profitieren wieder nur die größten Marktteilnehmer. Man muss ja nicht Fehler, die dort gemacht wurden, wiederholen.

Verlage wie S. Fischer oder Random House haben angekündigt, dass sie Konditionen nicht nur am Umsatz, sondern am Engagement einer Buchhandlung bemessen wollen. Glauben Sie daran?

Buchhändler: Uns hat noch niemand etwas in dieser Richtung angeboten. Die Standardsituation ist doch die, dass der Vertreter in sein Laptop schaut, wie viel Umsatz gemacht wurde und ob man sich noch in der richtigen Rabattkategorie befindet. Auch Dinge wie Beteiligung an Werbekosten, wenn ich in der Presse eine Anzeige schalte, werden von den Verlagen sehr defensiv behandelt. Es steht zwar im Preisbindungsgesetz, dass der Rabatt nicht allein am Umsatz gemessen werden darf, ich möchte aber eine Rabattstaffel sehen, die sich nicht am Jahresumsatz orientiert.
Vertriebsleiter: Dazu muss ich etwas sagen: Wir hatten ein deprimierendes Ergebnis, als wir Buchhändlern, mit denen wir gut zusammenarbeiten, offensiv Jahreskonditionen angeboten haben: häufig 45 Prozent auf alle Bestellwege unter Streichung von Naturalrabatten. Die Reaktion war durchaus enttäuschend. Für das Sortiment eigentlich beschämend, weil ja pausenlos über diese Dinge geredet wird.

Wenn die Konditionen für den kleineren und mittleren Buchhandel nicht auskömmlich sind – welche Wege sollten dann beschritten werden?

Vertriebsleiter: Wir müssen sehen, dass die Branche geldwerte Vorteile für Buchhändler bietet, die sich nicht unbedingt in Rabatten widerspiegeln. Das können Partnermodelle der Auslieferungen sein mit gebündelten Rechnungen oder Ähnliches. Man muss doch nicht nur über Rabattpunkte reden. Gerade bei den Bezugskosten ergeben sich Chancen, die vom Sortiment oft gar nicht registriert werden. Hier wird von Buchhandelsseite zumeist nur die portofreie Lieferung genannt, obwohl die Bezugskosten durch Bündelungen stark reduziert werden können und das nicht nur zulasten eines Handelspartners. In manchen Städten unterstützen wir inhabergeführte Buchhandlungen auch, indem wir ihnen die gleichen Konditionen anbieten wie einem am Ort ansässigen Filialisten. Voraussetzung ist natürlich immer, dass wir mit dem Buchhändler gut zusammenarbeiten.

Inwieweit verbessern sich durch eine Mitgliedschaft in einer Genossenschaft wie eBuch, LG Buch oder AUB die Konditionen?

Buchhändler: Es ist schon sinnvoll, sich die Einkaufsgenossenschaften zunutze zu machen, um Rabatte zu bekommen, die man alleine nicht erhalten würde. Wenn ich daran denke, welchen Service wir bieten: Wir bringen Bücher zu den Kunden nach Hause, wir verschicken weltweit, bieten größtmögliche Kulanz bei Rücknahmen, machen Recherchen und vieles mehr. Dank Schul- und Fachbuchanteil arbeiten wir aber mit einer Gesamtmarge von nur 28 Prozent! Die Rechnung kann betriebswirtschaftlich eigentlich gar nicht aufgehen. Von auskömmlichen Rabatten sind wir weit entfernt.

Vertriebsleiter: Umso erstaunlicher ist es, dass Buchhandlungen auf bestimmte Angebote nicht reagieren. Rabatt verkauft ja kein Buch. Wenn eine Buchhandlung über Jahre 70 Prozent unserer Bücher remittiert, dann muss ich sagen: Ihr verkauft unsere Titel einfach nicht – auch nicht mit einem Rabatt von 60 Prozent. Dann ist es doch besser, über das Barsortiment einzukaufen.

Der Börsenvereinsvorsteher hat bei der Leipziger Buchmesse angekündigt, dass der Verband schon sehr bald eine Antwort auf die zunehmende Unterhöhlung der Preisbindung finden wird. Was erwarten Sie vom Verband?

Vertriebsleiter: Diskutiert und gemutmaßt wird zumeist über Preisbindungsverstöße der Verlage. Ein Buchhändler, egal wie groß oder klein er ist, nimmt aber auch mit, was er kriegen kann. Denken wir an Mängelexemplare, Rabatte an Privatkunden etc. Schon lange wird von allen Seiten an der Preisbindung gesägt. Nicht nur vonseiten der Verlage.

Zwischenbuchhändler: Der Verband sollte erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Es gibt Gerüchte, dass großen Filialisten auch beim Bezug des VLB Sonderkonditionen eingeräumt werden.

Das ist doch aber eine Frage des Mengenrabatts für ein nicht preisgebundenes Produkt.

Buchhändler: Das Problem einer solchen Diskussion ist ja, dass sich zeigen könnte, dass die Preisbindung gar nicht so funktioniert, wie sie auf dem Papier steht. Wenn man dabei zu deutlich wird und die Verstöße öffentlich anprangert, muss man fürchten, dass die Politik reagiert und möglicherweise das Preisbindungsgesetz kassiert. Würden wir also, indem wir dieses Fass aufmachen, nicht das gefährden, was wir haben? Andererseits ist diese Doppelmoral sehr unbefriedigend und führt in die Sackgasse, weshalb wir den Zustand nicht so belassen sollten, wie er ist.

Gespräch: Eckart Baier, Torsten Casimir, Holger Heimann, Christina Schulte

Quelle: Börsenblatt 8. 5. 2008

 

"Ein klarer Verstoß gegen die Preisbindung“
Thalia erhält einen Rabatt von 50 Prozent, Amazon liegt bei 55 Prozent plus versandkostenfreier Lieferung – im Börsenblatt-Roundtable wird das Schweigen über eine fragwürdige Handelspraxis gebrochen.

Mit den Regeln der inneren Preisbindung, das zeigt das Gespräch, das in der heutigen Ausgabe des BÖRSENBLATT und auf Boersenblatt.net nachzulesen ist, nehmen es einige Branchenteilnehmer offenbar nicht so genau. Klar ist: Der Druck der großen Handelsunternehmen auf die Verlage wächst.

Hier in komprimierter Form einige Aussagen aus dem Gespräch mit drei Interviewpartnern, die anonym bleiben sollen:

• Thalia erhält vom befragten Verlag einen Höchstrabatt von 50 Prozent – fünf Prozentpunkte mehr als die Osiandersche Buchhandlung. Damit gewährt der Verlag dem Hagener Filialisten einen höheren Rabatt als manchem Barsortiment – ein klarer Verstoß gegen die Buchpreisbindung seitens des Rabattgebers.

• Verlage gehen mit ihren gewährten Rabatten „häufig an die absolute Schmerzgrenze, um ihre Marktpräsenz zu sichern“. Bei 50 Prozent Rabatt ist aber noch lange nicht Schluss: Weltbild oder Amazon liegen zum Teil noch deutlich darüber. Beim größten Onlinehändler „liegt die Messlatte eher bei 55 plus“– bei versandkostenfreier Lieferung.

• Die Abhängigkeit der Verlage von den Großkunden wächst: Mit den 15 besten Kunden plus die Barsortimente machen Verlage 65 Prozent des Umsatzes. Präsenz müssen sich Verlage durch hohe Rabatte erkaufen.

• Der Rabatt darf nicht allein am Umsatz gemessen werden, sagt das Preisbindungsgesetz. Die Realität für das unabhängige Sortiment sieht aber anders aus: „Die Standardsituation ist doch die, dass der Vertreter in sein Laptop schaut, wie viel Umsatz gemacht wurde und ob man sich noch in der richtigen Rabattkategorie befindet.“

• Die Remissionsquoten kleinerer Sortimente erreichen allerdings bisweilen erschreckende Höhen von 60 bis 70 Prozent – Amazon remittiert dagegen nur 0,5 Prozent.

• Viele Missstände sind in der Branche bekannt – es wird aber nie offen darüber geredet. „Manchmal entsteht der Eindruck, dass es in der Buchbranche ähnlich zugeht wie beim Doping im Radsport: Wer mit Missständen an die Öffentlichkeit geht, wird zwar Ruhm ernten“, sagt der Vertriebsleiter. „Im eigenen Umfeld seiner Großkunden und Verlagskollegen wird er aber zum schwarzen Schaf und auf ewig kein Bein mehr auf den Boden bekommen."


Quelle: Börsenblatt 7. 5. 2008


(Quelle: Börsenblatt des deutschen Buchhandels, 24. 1. 2008)

 

 

 

 


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