Autor des Monats: Milos Crnjanski
Miloš Crnjanski zählt zu den herausragenden Autoren der jugoslawischen Avantgarde. Als junger Soldat wider Willen auf der Seite Österreichs gegen Russland an die Front geworfen, lernt er zu überleben, in imaginäre Welten zu flüchten und das Leben zu feiern. Nach seinem expressionistischen Frühwerk "Ithaka", das noch unter dem Eindruck der Erlebnisse im Ersten Weltkrieg steht, erfindet er nach der Begegnung mit chinesischer und japanischer Dichtung den "Sumatraismus", eine Poetik, die sowohl seine späten Gedichte als auch seine Prosa durchzieht. Miloš Crnjanski gehört, meint Ilma Rakusa, mit Ivo Andric und Miroslaw Krleza, zum Dreigestirn der jugoslawischen Klassiker der Moderne. Tatsächlich weist kaum ein anderer Autor des ersten Jugoslawien eine derartige literarische Bandbreite auf wie Miloš Crnjanski. Sein touristischer Reiseführer durch die Bucht von Kotor ist noch heute lesenswert. Seine großen Romane mit ihrer poetischen Prosa haben die moderne jugoslawische Literatursprache geradezu erschaffen.
Als Kulturattaché in Berlin, Rom und Lissabon lernte er die europäischen Eliten vor dem Zweiten Weltkrieg kennen. So zeigt sich Crnjanski als Autor von internationalem Rang. Und gerade den deutschsprachigen Lesern hat er etwas zu sagen: In "Iris Berlina" schildert er nicht nur seine Eindrücke von Deutschland in den 1920er Jahren, sondern gelangt zu hellsichtigen Ahnungen. So bemerkt er, Deutschland würde, „nach dem Ende der Unbestimmtheit und der Zurückhaltung der heutigen deutschen Außenpolitik und deren Friedfertigkeit“, den nächsten Krieg gegen Polen führen. Der in Rom verfaßte zweibändige Roman "Bei den Hyperboreern" (Band 1, Band 2) kann als Synthese seines Werks betrachtet werden, in dem Visionen einer friedlichen Welt kontrastiert werden mit Schilderungen sozialer Mißstände, Rassismus und Krieg. Im Roman "Ein Tropfen spanisches Blut" beschreibt Crnjanski höchst amüsant das ins Peinliche abgleitende Liebesgurren des 60jährigen bayrischen Königs Ludwig I. für die 25jährige Hochstaplerin Lola, das mit ihrer Flucht und seiner Andankung während der Revolution von 1848 endet. So glaubt man, meint Hannes S. Macher, Augen- und Ohrenzeuge all der politischen Ereignisse und Amouren zu sein.
Crnjanskis Texte bieten Erkenntnis und Lesegenuß. Welch ein Glück, daß ein Teil von ihnen - nun viele Jahrzehnte später - auch in deutscher Übersetzung vorliegt! Wer Crnjanski im Original hören will, findet hier eine Hörprobe.