Billy Collins

Viktor Kalinke empfiehlt Billy Collins:
Ich verdanke die Entdeckung der Gedichte von Billy Collins dem Dichter und Übersetzer Ron Winkler, der mir – als sich der Verlag mitten im Umbau und Umzug in neue Räume befand – eine kurze essayistische Notiz schickte: „Es ist sehr leicht möglich, dass, wer die Gedichte von Billy Collins liest, sich schnell von ihnen fesseln, oder besser gesagt: einspinnen lässt ... Doch die Gedichte legen es im Grunde nicht aufs Fabulieren an, eher trachten sie nach einer Aufweitung des Blicks: für die Erscheinungen des Alltags und ihre Kuriositäten – wie auch die des Menschen.“ Tatsächlich haben die Gedichte auch mich eingesponnen mit ihrer scheinbaren Leichtigkeit und ihrem trockenen Humor, der mindestens zweimal umgebrochen werden kann und plötzlich Blicke in die Tiefe offenbart. Wir haben Ron Winklers Übersetzungen 2006 in einer zweisprachigen Ausgabe unter dem sinnreichen Titel "Schneeschaufeln mit Buddha" herausgegeben, ihr folgte eine Einladung zum Poesiefestival nach Berlin – sie ist bisher das einzige Buch von Billy Collins in der deutschsprachigen Welt und nur noch in wenigen Restexemplaren erhältlich, also weiterhin und immer wieder zu entdecken.
Billy Collins’ Gedichte sind eine Einladung, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Sie liefern den Beweis, daß moderne Lyrik ein breites Publikum erreichen kann, denn sie werden begeistert von allen gelesen, für die Lyrik sowohl unterhaltsam als auch tiefgründig sein darf. Billy Collins ist einer der ganz wenigen Lyrik-Bestsellerautoren auf diesem Planeten. (Seine Bücher verkaufen sich in den USA in fünfstelliger Auflage.) Und bei seinen Auftritten werden seine Gedichte von einem beeindruckend großen und heiteren Publikum gehört. Eine solche Stimmung bei Lesungen gabs in Deutschland bestenfalls einmal bei Harry Rowohlt...
Der Humor dient Billy Collins als Türöffner zu tieferen Reflexionen, wenn er Themen behandelt, die viele Menschen berühren: der Lauf der Zeit, Erinnerungen, Vergänglichkeit, Achtsamkeit, die Schönheit des Alltäglichen und die Komplexität menschlicher Emotionen. Er beobachtet scheinbar banale Alltagssituationen und verwandelt sie in poetische Momente: das Gewöhnliche wird in wenigen Sätzen zum Besonderen. Collins’ Stil zeichnet sich durch Leichtigkeit, Wortwitz und originelle Metaphern aus. Er experimentiert mit Formen und Strukturen, behält aber Bodenhaftung und bleibt nahbar. Die Texte sind formal schlicht, aber inhaltlich vielschichtig. So hat sein Gedicht „Sonnet“ zwar vierzehn Verse, aber es reimt sich nicht und abgesehen vom letzten Vers gibt es auch keinen jambischen Pentameter. Mit seinem Hohngedicht „Paradelle for Susan“ erfand er die poetische Form der Paradelle als einen Scherz, um die Villanelle zu parodieren; die Paradelle ist symbolisch für seine Zurückweisung der formalen Dichtung. In „The Trouble with Poetry“ hinterfragt er selbstironisch das in Mode gekommene hermetische Schreiben von Gedichten und kehrt zum Kern zurück: Wozu ist Poesie überhaupt wichtig?
Zweimal zum Poet Laureate der Vereinigten Staaten gekürt (2001–2003), übte Billy Collins einen nachhaltigen Einfluss auf die amerikanische Literaturszene und die Wahrnehmung von Lyrik in der breiten Öffentlichkeit aus. Mit dem Projekt „Poetry 180“ initiierte er eine Sammlung von 180 Gedichten – für jeden Schultag ein Gedicht. Er wollte jungen Menschen die Freude an Lyrik vermitteln und sie ermutigen, Gedichte nicht nur zu analysieren, sondern zu genießen. In „Introduction to Poetry“ ermuntert er dazu, sich an der Poesie zu erfreuen statt sie nur zu interpretieren und damit „das Gedicht mit einem Seil an einen Stuhl zu fesseln / und ein Geständnis aus ihm herauszufoltern.“
Zahlreiche Auftritte – etwa die Lesung seines Gedichts „The Names“ im US-Kongress zum Gedenken an die Opfer des 11. September 2001 – rückten Billy Collins Lyrik ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. So hat Collins dazu beigetragen, Poesie aus der literarischen Nische in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Er inspirierte viele, sich mit Poesie zu beschäftigen, und beeinflußte eine ganze Generation von Lesern und Autoren. Übrigens war er einer der ersten, dessen Gedichte in Form von Youtube-Videos um die Welt gingen, gestaltet von den besten Graphikern der USA. Meine Lieblingstexte sind dort immer noch zu finden:
- Sonnet
- The Dead
- Forgetfullness
- Sweet Talk
- Some Days
- Walking across the Atlantic
- The Best Cigarette
- Man in Space
- Budapest
- Hunger
- Now and Then
Billy Collins: William J. („Billy“) Collins wurde 1941 geboren und lebt seitdem in New York. Er studierte am College of the Holy Cross und der Universität von Kalifornien, Riverside. Collins empfing die Würde eines Distinguished Professors für English am Lehman College, der City University von New York, wo er von 1968 bis 2001 unterrichtet hat. Außerdem hat er am Sarah Lawrence College unterrichtet und wirkte dort auch als Gastautor. Collins erhielt zahlreiche Preise der Zeitschrift „Poetry“. 1994 wurde er von dieser Zeitschrift als „Dichter des Jahres“ gewählt. Außerdem war er Stipendiat der „National Endowment for the Arts“, der „John Simon Guggenheim Foundation“ und der „New York Foundation for the Arts“. Für zwei Perioden, von 2001 bis 2003, war Billy Collins der Poet Laureate der Vereinigten Staaten. In seinem Heimatstaat wurde er als „Literary Lion“ der öffentlichen Bücherei von New York gewürdigt und 2004 zum New Yorker Dichter auserwählt.
Veröffentlichungen (Auswahl): Pokerface, 1977; Video Poems, 1980; Questions About Angels, 1991; The Art of Drowning, 1995; The Best Cigarette, 1997; Picnic, Lightening, 1998; Sailing Alone Around the Room, 2001; Nine Horses, 2002; The Apple that Astonished Paris, The Trouble With Poetry and Other Poems, 2005
In deutscher Übersetzung von Ron Winkler ist im Leipziger Literaturverlag erschienen: