Lutz Naumann
![]() Tagebau (1999 Kreide auf Karton 20 x 12 cm) |
![]() Feld (2000 Pastell und Kreide auf Leinwand 19 x 12 cm) |
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![]() La Gomera (2000 Kreide auf Leinwand 24 x 14 cm) |
![]() Horizont (1998 Kreide auf Karton 12 x 10 cm) |
![]() Dänemark (1996 Kreide auf Papier 24 x 9 cm) |
![]() Meer (1996 Kreide auf Transparent 18 x 9 cm) |
![]() Dänemark (1998 Kreide auf Papier 22 x 10 cm) |
![]() Bradbury Mountain, Maine/USA (2003 Kreide auf Leinwand 22 x 12 cm) |
Vita
in
HALLE/SAALE geboren 1959
Schule, Lehre, Facharbeiter, Soldat,
Studium der Kulturwissenschaften,
Künstlerischer Leiter in einem Kulturhaus,
Arbeitslos, Theaterpädagoge ab 1991,
freiberuflich seit 2000,
Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit und
Museumspädagogik 2001 - 2003
Autodidakt in Fotografie und Kalligrafie,
Privatunterricht in Malerei und Grafik bei
verschiedenen Künstlern
über zwanzig Ausstellungen u.a. in
Berlin, Meißen, Halle, Torgau, Leipzig
Studienaufenthalte u.a. in Dänemark, Türkei,
Maine/USA, auf den Inseln La Gomera und Vilm
lebt in Leipzig
vorrangiges Thema der künstlerischen
Arbeit seit 1996: HORIZONTE
Dirk Bierbaß: H O R I Z O N T E
Im Wechselspiel von Nähe und Unendlichkeit - Zur Kreide von Lutz Naumann
Plötzlich lag es vor mir: still und blau und unermesslich. Es ließ mich
verstummen. Ich stand wie benommen. Spürte eine Art Gehirnerschütterung,
die zwei Tage lang anhielt. Ich war das Kaninchen, direkt aus seiner Box
in die Freiheit gesetzt.
Das war vor nun über zehn Jahren. Diese Weite, still und blau. Ich hockte
im heißen Sand, war fasziniert, holte mir einen respektablen Sonnenbrand
und hatte doch noch immer nicht genug. Ich hatte ja selbst Schuld, hatte
mich unvorbereitet herkatapultieren lassen, von irgend so einem beliebigen
Charterjet. Der spuckte mich aus in dieses grelle Südlicht, diese Hitze,
diese mediterrane Landschaft. Und es ging weiter, direkt an das Ufer, auch
Gestade genannt, direkt an das Meer. Das brandete salzig, ich spürte es
in den Augen. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich sah Ikarus, aber
der stürzte nicht, der flog einfach hinein in das Blau, das sich verwischte,
ineinander lief. Das Meer war seine Startbahn, die Sonne ein glitzernder
Kegel, das Leuchtfeuer unterm offenen Himmel. Erst später war er auszumachen:
der Trennstrich, der Spiegelansatz. Allein die See war unbegreiflich, rätselhaft
weil endlos und unergründlich tief. Es war unmöglich, sie nicht zu sehen,
die homerischen Flotten. Ich begann mich zu verirren, glitt unmerklich hinüber
in dieses Universum. Ich verlor mich.
Ich war dann öfter dort, kehrte in jedem Jahr dorthin zurück. Wechselte
die Plätze. Es war eine Sucht geworden. Ich lebte mich dort ein. Die Faszination
blieb, wurde souveräner. Ich konnte es bewusst genießen, dieses Stück Freiheit,
das sich da im Kopfe Raum schuf. Endlose Ferne, diese Farben, Gerüche, Geschichten.
Ich schrieb das auf, es wurden eine Hand voll Texte. Einer hieß “Das Meer”...
Lutz Naumann kenne ich schon gut fünfzehn Jahre. Ich kannte seine Fotoarbeiten,
seine grafischen Skizzen. Irgendwann, es war in seinem warmen Hallenser
Atelier, konfrontierte er mich unvorbereitet mit seinen ersten Kreidezeichnungen.
Es war eine regnerische Herbstnacht, wir tranken Wein - als bewährtes Heilmittel
gegen die draußen grassierende Novembertristesse. Ich hielt sie in der Hand,
diese kleinen verletzlichen Blätter in seiner Mappe. Auf den ersten Blick
verwunderte mich das bescheidene Format. Der zweite Blick erfasste die leuchtenden
Farben, der dritte das Eigentliche: Das Motiv. Wieder stand ich da, ich
erkannte das Gefühl sofort. Diese Blätter zogen mich an. Ich spürte den
Sog. Wieder hatte es mich: diese Weite, diese berauschenden Farben. Gerüche.
Geschichten. Das konnte mich glatt rauskatapultieren aus dem nasskalt-zugigen
Geschachtel der Stadt. Was ich sah waren die Bilder zu Texten, die ich später
noch schreiben würde.
Ich ahnte sofort, dass Naumann mit dieser Kreidemalerei, diesen Sujets endlich
seinen originären Stil, seinen Ausdruck gefunden hatte. Immer wieder bestärke
ich ihn seitdem, diesen gesuchten Weg weiterzugehen. Über all seine produktiven
künstlerischen Zweifel hinweg.
Ich bin gewiss und nachweisbar kein Freund von Superlativen. Diese Zeit
lebt davon und damit bis zum allgemeinen Überdruss; und ich finde, es ist
auch deshalb nicht unbedingt eine gute. Aber Naumanns Bilder sind einzigartig.
Es kann natürlich auch an meiner fahrlässigen Unwissenheit liegen, was Bildende
Kunst betrifft. Aber ich kenne wirklich nichts vergleichbares.
Naumanns Bilder abstrahieren die sich stets ähnelnden Motive, ohne dabei
allerdings den verbindlichen realistischen Blick zu verlieren. Sie sind
realistisch, ohne die nötige Abstraktion zu vernachlässigen. Vordergründig
still und zurückhaltend, kann man sie doch nur bei oberflächlicher Betrachtung
als naturbezogene Genremalerei bezeichnen. Diese Bilder, oft in zwei leuchtenden,
kontrastierenden Farben gehalten (blau/ grün; schwarz/ weiß; grau/ gelb;
schwarz/ rot etc.) zeichnen nur sehr spärlich Konturen. Sie wirken flächig.
Dabei liegen die Farbblöcke wie Kontinentalplatten aufeinander, jederzeit
bereit, ein Beben im Betrachter auszulösen. Diese Bilder sind ohne Zweifel
schön. Aber sie tragen lächelnd etwas in sich, das in Sekunden harmoniesüchtige
Illusionen zerstören kann. Sie sind in diesem Sinne hintergründig, philosophisch.
Sie sind Variationen des immer gleichen Themas. Je sparsamer Naumann mit
Motiven und Farben umgeht, um so spannungsgeladener wirken die Blätter auf
mich, desto faszinierender sind sie. Dieser saugenden Tiefe kann ich mich,
obwohl inzwischen daran gewöhnt, kaum mehr entziehen. Es geht immer um diesen
nahezu unsichtbaren kleinen Strich in der Ferne, jene Scheide, die Endlichkeit
und Unendlichkeit trennt, Meer und Universum, Erde und Weltall. Leben und
Tod. Frieden und Krieg. Liebe und Hass. Um nicht mehr oder weniger.
Dabei drängt sich Naumann nicht auf. Er überlässt es dem Betrachter, welche
Schlüsse er für sich zieht. Was er sehen, erkennen will. Das bringt mit
sich, dass es für diese Kreide Menschen geben muss, die bereit sind, auf
die Suche zu gehen. Leute, die Sinn-Fragen mit sich herumtragen. Manchmal
fürchte ich, dass es nicht viele sind. Und hoffe sofort, dass es mehr werden.
Wenn es heißt, dass unsere kulturelle Identität immer mehr von Bildern dominiert
wird, dann hoffe ich, dass es Bilder von der Art Naumanns sind. Bilder die
nichts behaupten und nichts ausschließen.
Naumanns Kreideblätter sind schon vom Material her sehr verletzbar. Sie
bedürfen eines gewissen Schutzes. Sie sind ehrlich und verlangen eine aufrichtige
Achtung. Fast könnte man sagen, sie sind - oho - in ihrem Wesen zutiefst
demokratisch. Denn sie stellen sich unserem Urteil ohne jedes Machtverlangen.
Ihr Programm ist die schlichte Forderung nach Respekt. Meine Anerkennung
haben sie nicht nur deshalb uneingeschränkt.
Meinen Text “Das Meer” habe ich geschrieben, ohne zunächst an etwas anderes
als ihn selbst zu denken. Erst als er fertig war musste ich erkennen, dass
Naumanns Bilder dabei stillschweigend im Hinterkopf Pate standen, Geburtshelfer
waren. Ich hatte sie unbewusst längst zu einer Art Filter gemacht: Ah, eine
Landschaft wie von Naumann... Nichts Besseres kann einem Künstler doch passieren,
als dass im Betrachter, im Rezipienten, Kunst und Realität eine von ihm
unbemerkte Symbiose eingehen. Welches andere Ziel sollte ein Künstler redlicherweise
anstreben wollen?
Ich wünsche Ihnen, uns allen in diesem Sinne eine nachhaltige Annäherung
an Lutz Naumanns Arbeiten.