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Animated Poetry

Statement von Billy Collins zur iPoetry (Oct 5th, 2007)

dear viktor,

the idea to animate poems came from the Sundance Channel and the J
Walter Thompson advertising agency (JWT). They assured me
that they would bring in tto the project the best animators they
could find and that the selection would be competitive. Apparently a
number of people who tried out, were not invited to animate. I like the idea of
poetry being adapted to different media (except dance) so I agreed to
read the poems to be animated.

I was very pleased with the results. the first one I saw was "The
Dead" which set a high standard for the rest. I never liked the idea
of illustrated books of poetry. A poem about a tree and on the
facing page. guess what? a tree! but animation casts a kind of spell
over the eye as the voice does over the ear. And two senses are usually
better than one.

I have no idea how the animations got on YouTube. Apparently, just
about anything ends up there. The films first appeared as "filler" on the Sundance Channel (USA
TV). But I was happy to hear that some of the films were getting 500,000 hits on
YouTube. Next we need to promote iPoetry so that poems can be
easily put on your iPod along with your music.

If this phenomenon needs a star, I am happy to volunteer. I am an
only child and have a great capacity for receiving attention.

My best to you and Ron Winkler,

Billy

 

Drehbücher der Zukunft
Verfilmte Gedichte im Internet - das nächste große Dinge im Netz? Wohl kaum. Aber sie könnten die Lyrik-Welt revolutionieren.
Von Christian Kortmann

Süddeutsche Zeitung, 11. 9. 2007

Wenn bei zeitgenössischer Lyrik die Einschaltquote gemessen würde, läge ein Werk mit mehr als 400000 Lesern wohl mit weitem Abstand an der Spitze: Das Gedicht "Forgetfulness" des Amerikaners Billy Collins hat das Publikum nicht über eine der meist nur in dreistelliger Auflagenhöhe angesiedelten Lyrikpublikationen erreicht, sondern durch einen Trickfilm beim Internetvideo-Portal YouTube, in dem der Autor sein Gedicht rezitiert.

Verfilmte Gedichte, "animated poetry", sind wohl kaum das nächste große Ding im Netz, zeigen aber, dass im Internet für jeden Geschmack etwas dabei ist - wenn man Zeit zum Suchen hat.

Man muss nämlich recht lange zwischen den Millionen von Amateurfilmen und Fernsehausschnitten wühlen, bis man auf sehenswerte Lyrikclips stößt, die hier als neues Genre unter etlichen anderen experimentell erprobt werden.

Doch die, die man schließlich findet, sind mitunter so gut, dass sie die Lyrikrezeption völlig verändern könnten, so wie in den 1980ern Videoclips die Wahrnehmung und Vermarktung von Popmusik revolutionierten: Lyrik ist im Clip nicht länger "nur" auf Worte angewiesen, sondern wirkt wie Kino durch Sound, Stimme und Bilder.

Es ist ein nur auf den ersten Blick überraschendes Aufeinandertreffen von einem populären jungen Medium und poetischer Schreibkunst, die als letzter Hort des Numinosen gilt: Wer Gedichte schreibt, weiß, was Transzendenz ist, der Dichter ist nicht nur Medienarbeiter, sondern Medium. Der irrationale Freiraum lyrischer Vorstellungskraft kommt dem spielerischen Medium Internetvideo entgegen, weil lustvolles Ausprobieren hier hoch geschätzt wird. Zudem mögen YouTube-User die kurze Form: Gedichte sind also ideale Drehbuchvorlagen.

Es ist kein Zufall, dass Billy Collins eine Vorreiterrolle bei der Popularisierung von Gedichtclips spielt. Schon als Poet Laureate - der von der Library of Congress jeweils für ein Jahr erwählte US-Nationaldichter - trat er für zugängliche Lyrik ein und kassierte prompt den Kitsch-Vorwurf. Leser sollen "auf der Oberfläche des Werks Wasserski laufen", sagt er, um durch den Flow entspannter Lektüre eine mystische Welterfahrung zu machen.

Suggestive Clips stärken diesen Ansatz, sie entführen in Collins’ Universum des magischen Realismus. Passend zu seiner deutlichen Diktion bleiben auch die Filme sachlich, wenn sie eine erkennbar subjektive Wahrnehmung wiedergeben.

In "Budapest" träumt Collins sich in eine Stadt, in der er nie war, beschreibt seinen Stift als fremdes Tier, und schon krabbelt ein Kafka-Käfer übers Papier.

Beim kurzen "Now and then" findet der Kontrast des Titels Ausdruck im Animationsstil, der sich von japanischen Tuschezeichnungen zu modernem TV-Zeichentrick wandelt.

Und in "Forgetfulness", YouTubes aktuellem Gedicht-Tophit, beschreibt Collins in wenigen Zeilen, wofür Patrick Süskind einen Essay gebraucht hat: "Amnesia in Litteris", das allmähliche Vergessen gelesener Bücher. Es beginnt mit dem Autorennamen, dann folgt der Plot, übrig bleiben Szenen, manchmal Wörter. Der Clip stellt dies durch das Verblassen der Schrift auf den Buchrücken in einem Antiquariat dar.

Auch die Realität wird übermalt: Lektüre ist eine Gegenwart, die wie von einer Zaubertafel gelöscht und neu überschrieben wird. Doch wie bei einem Palimpsest bleiben tiefere Schichten erhalten: Man versteht Dinge anders, weil man einst etwas las, an das man sich zwar nicht mehr erinnert, das einen jedoch weiterhin beeinflusst. Wie Collins es formuliert: Manche Gedanken setzen sich in einem kleinen Fischerdorf in der südlichen Hirn-Hemisphäre zur Ruhe.

Was immer man von seinem Werk hält, die filmische Umsetzung ist meisterhaft: Collins zeigt, wie attraktiv Lyrik inszeniert werden kann: unverstaubt, modern, als sprachmächtiger Gegenpart zur verrückten Bilderwelt unserer audiovisuellen Unterhaltungskultur.

Das Talent des Dichters, Bilder zu assoziieren, ist sogar dem Algorithmus überlegen, der bei YouTube automatisch Videos gruppiert. Wie Robert Gernhardt scheut Collins vor leichten Themen nicht zurück: Mit "The Best Cigarette" bringt er etwa die Schönheit des Zigarettenrauchens eindrucksvoll auf den Begriff.

Die goldenen Punkte der postkoitalen Zigaretten werden zu einem Schiff auf dem nächtlichen Ozean, ein Frauengesicht taucht im Nikotinnebel auf - die bewusstseinserweiternde Droge öffnet Pforten der Wahrnehmung: Tabak als Treibstoff, der Dichter als qualmende Lokomotive.

Im Internet wird mit Effekten nicht gegeizt und die Genieästhetik gepflegt: Es ist keine streng wissenschaftliche, historisch-kritische Lesart, in der hier Lyrik interpretiert wird. Klassische Gedichte von Baudelaire oder Sylvia Plath müssen eine gewisse Robustheit beweisen, wenn sie im Netz von Fans für ein überwiegend an Amüsement interessiertes Publikum aufbereitet werden.

So findet sich Edgar Allan Poe als "Annabel Lee" rezitierender Gespensteronkel wieder, und Chaucers "Pardoner’s tale" gibt es als Rap-Coverversion.

Aber auch Regieprofis setzen Gedichte in Szene: In einem Film von Gus van Sant spricht William S. Burroughs sein Dankgebet "Thanksgiving Day", in dem er zu Bildern von Star-Spangled Banner und Cowboys zynisch dem Ku-Klux-Clan, der Prohibition und dem Krieg gegen Drogen huldigt.

Neben gegenständlichen und assoziativen Verfilmungen werden in Gedichtclips Ideen der konkreten Poesie weiterentwickelt: Wie im "Sign O’ The Times"-Musikvideo von Prince erwacht die Typographie zum Leben, die Worte tanzen sich selbst.

Am besten gelungen ist das bei Charles Bukowskis "Oh yes!": Die gnadenlosen Zeilen "it’s too late / and there’s nothing worse / than / too late" werden maschinell zu knarzendem Elektrosound vor kaltem grauen Grund aufgefächert. Gedanken sirren heran, als seien sie aus flirrenden Neonröhren gemacht. Ähnlich wurde Frank O’Haras "As planned" umgesetzt: eine mit Free Jazz unterlegte Reise durch eine Ideenwelt.

Ein Glas Wodka scheint auf, eine Streichholzschachtel, nichts als Wörter: "You write because you know them not because you understand them."

Dichter wie O’Hara, die bewusst den Alltag poetisierten, lieferten vor mehr als 40 Jahren die Drehbuchvorlagen für eine jetzt erst mögliche Popularisierung ihrer Kunst. Denn das Internetvideo ist als asynchrones Massenmedium ideal für eine nicht an Aktualität gebundene Lektüre: Jeder hat jederzeit freien Zugriff auf ein Spezialprogramm.

Hier zeichnet sich ab, was die Zukunft der Lyrikrezeption sein könnte: Das Hörbuch wäre dann nur der Anfang einer gesamtästhetischen Darstellung von Literatur.

Man kann nun einwenden, mit einem Clip werde die sprachliche Macht eines Gedichts beschnitten und an die audiovisuelle Kultur angepasst. Doch ist die werbende Wirkung für die schöpferische Kraft der Lyrik größer als der kulturkritisch befürchtete Nebeneffekt, der Leser müsse "nicht länger selbst denken". Denn das muss er sehr wohl, da die Verfilmung ein Gedicht weniger erklärt als ausdeutet und neue Fragen stellt.

Deutschsprachige Lyrikclips sind bislang übrigens rar, dabei ist das Potential großartig: Benn, Rilke, August Stramm, das könnten Männer der Zukunft sein. Bei Rolf Dieter Brinkmanns "Orangensaftmaschine" sieht man den schwülheiß rotierenden Clip schon vor sich.

Und von Wolf Wondratschek findet man im Netz nur den Song "Call the Circus", den er für Esther Ofarim schrieb. Die Bilderwelten von "Chuck’s Zimmer" liegen noch brach: Hoffentlich stoßen Filmemacher und Animationskünstler auf diese Schätze, um sie ins Licht des Internetvideos zu heben.

 

Der Vers als Filmsequenz
Verfilmte Gedichte erobern das Internet. Sie könnten die Lyrikrezeption revolutionieren
Von Nina May

Westdeutsche Zeitung, 14. 12. 2007

Verfilmte Gedichte erobern das Internet. Sie könnten die Lyrikrezeption revolutionieren.
Düsseldorf. Eine Spieluhr lärmt, Vater und Kinder quengeln, die Mutter stopft Erdnussflips in sich hinein. Plötzlich stülpt sie sich einen riesigen blauen Ballon über den Kopf und rezitiert das Gedicht „Nach grauen Tagen“ von Ingeborg Bachmann. Der Regisseur Ralf Schmerberg verleiht dem Vers „Nur eine einzige Stunde frei sein“ damit eine neue Bedeutung. Das Genre Lyrikvideo boomt – dank Internet und YouTube.

Annette von Droste-Hülshoffs „Der Knabe im Moor“ wird dort zum Gruselfilm, Rainer Maria Rilkes „Panther“ zählt in gleich neun Videos die Stäbe seines Käfigs und Edgar Allan Poe rezitiert als Geisteronkel sein Poem „Annabel Lee“.

Lyrikvideos bei Youtube werden mehr als 600000 Mal angeklickt

Der Star der „animated poetry“ ist der einstige US-Nationaldichter Billy Collins. Die Videos seiner Gedichte wurden jeweils mehr als 600 000 Mal angeklickt. Collins war zunächst skeptisch, als ein Fernsehsender ihn bat, seine Gedichte verfilmen zu dürfen: „Ein Gedicht über einen Baum und als Illustration – wer hätte das gedacht – ein Baum. Aber Animation wirft einen Zauber über das Auge, wie die Stimme über das Ohr“, sagt er.

Viktor Kalinke vom „Erata“-Verlag in Leipzig, der Collins in Deutschland herausgibt, könnte sich vorstellen, Lyrikbänden künftig eine DVD beizulegen. Er hofft, über die Internet-Videos auch neue Leser zu werben: „Allein durch das gebundene Buch ließe sich so eine große Reichweite nicht erzielen.“

Es mag ketzerisch erscheinen, eine als erhaben geltende Stilform wie die Lyrik mit einem Video bei Youtube zu vergleichen – einer Plattform, die nicht zwischen Kunstwerk und Belanglosigkeit unterscheidet. Tatsächlich aber verbindet beide das Spielerische sowie die exzessive Subjektivität und Selbstentblößung. Gedichte kommen als vergleichsweise kurze und verdichtete Texte zudem der Schnelllebigkeit des Internet entgegen.

Über die Bildersprache des Videos werden Gedichte international verständlich. Damit könnte die „animated poetry“ die Lyrikrezeption revolutionieren wie in den 80er Jahren der Videoclip die Popmusik. Tatsächlich hat der Regisseur Ralf Schmerberg auch schon Musikvideos für die Toten Hosen gedreht.

Als Inspiration für seinen Film „Poem“, in dem er u. a. mit Klaus Maria Brandauer Gedichte von Schiller bis Ernst Jandl interpretiert, hat Schmerberg Gedichte auf Wäscheleinen gehängt und monatelang Ideen dazu skizziert. „Du nimmst diese Gedichte mit in dein Leben und deine Wahrnehmung. Eindrücke vermischen sich im Kopf und dann kommen deine Bilder einfach mit dazu“, sagt er.
FAZ-Lyrikexperte Harald Hartung ist dagegen überzeugt, dass ein Video zwar „Reklame“ für die Lyrik machen, aber stets nur den Bruchteil eines Gedichtes einfangen kann: „Heines Vers ,Du bist wie eine Blume‘ löst im Kopf jedes Lesers das Bild einer anderen Blume aus. Ein Video dagegen gibt eine Blume vor.“

Die Filme können Assoziationsräume einengen oder neue öffnen
Das gilt laut Boris Nietzsche von der Berliner Literaturwerkstatt, die den „Zebra Poetry Film Award“ verleiht, jedoch nur für schlechte Videos: „Sie bebildern das Gedicht lediglich und engen so Assoziationsräume ein. Im besten Fall öffnet das Video jedoch neue.“ Im Zebra-Gewinnerfilm „Just say no to family values“ etwa spricht ein Mann vor der Kulisse eines italienischen Dorfes über die Unnötigkeit von Familienwerten. Im Hintergrund sitzt ein Mütterchen, das den Text des Gedichtes allein durch ihre Anwesenheit ironisch bricht.

Auch der Lyriker Anton G. Leitner kann sich eine Verfilmung seiner Gedichte nur als Variation, nicht als bloße Wiedergabe vorstellen: „Die Bilder, die ich als Verfasser im Kopf habe, wird sowieso niemand genau treffen“, sagt er. Obwohl Leitner selbst mit „SMS Lyrik“ schon Gedichte in ein anderes Medium übertragen hat, ist ihm „das Papier immer noch lieber als der Bildschirm.“ Der strahle Kälte aus.

Fest steht: Lyrikvideos provozieren eine neue Form der Auseinandersetzung mit Gedichten. Billy Collins’ Anhänger reagierten bei Youtube sogar mit eigenen Videos. „Forgetfullness“ handelt von dem langsamen Vergessen eines gelesenen Buches, das im Unterbewusstsein Spuren hinterlässt. Die Antwort – ein in die Kamera gesprochener Satz: „Das erinnert mich an etwas“.

Lyrikvideos
Collins Die Videos zu Billy Collins Gedichten hat der Erata-Verlag auf seiner Website zusammen gestellt:

www.erata.de/autoren/collins.html

Zebra Die Gewinnerfilme des Zebra Poetry Film Award:

www.literaturwerkstatt.org

20.11.2007

 

 




 

 


Billy Collins: Animated Poetry
The Dead
Forgetfullness
Sweet Talk
Some Days
Walking across the Atlantic
The Best Cigarette
Man in Space
Budapest
Hunger
Now and Then

Zur Buch-Ausgabe (engl.-dt.)

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Fische im Sand
Verfilmte Gedichte von "comma"

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