Zurück zur Bibliografie

 


Jorge de Sena

Hommage an den Grünen Papageien
(Auszug)

Er war grün und alt. Jedenfalls altertümlich. Und gemeinsam mit einer wirren, undeutlichen Sammlung von getigerten, mit dem Klappmesser “präparierten“ Katzen (dieses erste Geheimnis aus meiner Kindheit sollte später, schon mit den Feinheiten der Keimfreiheit, in der Veterinärmedizin gefeiert werden) und allen sogenannten “Schoßtieren” - der Name ist ebenso zutreffend, wie die Päpste Piusse sind - nimmt er in meiner Erinnerung den ältesten Platz ein, der darin einer Tierpersönlichkeit zukommt. Ich sage Persönlichkeit, und mit Recht, denn er besaß sie, und gemessen an den gegenteiligen Überraschungen durch die “Erwachsenen”, die sich als derart launisch und willkürlich erwiesen, als derart unvorhersehbar und ohne jede Logik, als derart heuchlerisch grausam, war er geradezu die Offenbarung eines Charakters. Er besaß keinen Namen: er war “der” Papagei, und er erschien mir, da er sprechen konnte, als ein wunderbares Wesen. Später, und an die Ankunft dieses anderen erinnere ich mich, brachte mein Vater aus Afrika einen grauen Papageien mit. Der Papagei wurde nun recht eigentlich der Grüne Papagei genannt und lebte in einem Käfig, der auf einem der Balkonabschnitte hing, in die der gesamte hintere Balkon unserer Wohnung an der rückwärtigen Front des Hauses durch eine eingezogene Trennwand aufgeteilt war, wobei der eine auf die Küche entfiel, der andere aufs Wohnzimmer. Eine der politischen Forderungen meiner Kindheit bestand in der Aufhebung eines ungerechten Zustands, der den Grünen Papageien auf den “Balkon der Küche” begrenzte. Auf dem Balkon des Wohnzimmers, der näher zur Straße hin lag, lebte der Graue. Dieser, weniger prächtig und minder korpulent und angesichts seiner matten Farben auch weniger eitel, starb nach dem Grünen, einem großen ansehnlichen Vogel, überschäumend vor Dünkel und Würde. Und obwohl der Graue Papagei weit mehr als der Grüne über die Gabe des Wortes verfügte (die er freilich mit weniger unfreiwilligem Humor gebrauchte), erinnere ich mich nicht derart deutlich an ihn wie an das Bild des anderen, über das das seine sich legt wie ein Schatten, ein Negativ, eine bescheidene Verdopplung in der Ungenauigkeit der Erinnerung, die durch ihn an Schärfe verliert (na imprecisão focal da memória a desfocar-se por ele?). Im übrigen war der Graue ein schüchternes, verfrorenes Wesen, das geduckt sein wechselndes Repertoire daherknurrte, ohne für jemanden eine besondere Vorliebe zu bekunden; sympathisch an ihm waren allenfalls der sehnsüchtig-melancholische Blick und die völlig gelehrige Sanftmut des angeketteten, ergebenen Sklaven. Der Grüne hingegen besaß etwas Strotzendes, er kannte leidenschaftliche Freundschaften und blinden Haß, was beides weder andauernd noch halsstarrig. Doch ich lüge: diese Freundschaften und dieser Haß, weder stark noch ausdauernd, waren Teil seines aufsehenerregenden und mitteilsamen Charakters. Mit der Zeit jedoch begannen sie sich in einem kollektiven, lautstark geäußerten und gereizten Abscheu zu verfeinern oder in einem ansehnlichen Schnabel zu konkretisieren, der sich heimtückisch vor einem flatternden Grün eines Fingers oder Schienbeins oder einer Haarsträhne bemächtigte. Das Gegenstück zu diesem zunehmenden Pessimismus dem menschlichen Geschlecht gegenüber (in das er mit einer das Absurde streifenden Verachtung den Grauen einschloß) war eine heftige und hingebungsvolle Freundschaft zu mir. In der feindlichen Welt der Erwachsenen, die mich mit Eifer und Klausur umgaben, offenbarte der Grüne Papagei mir am Ende nicht nur, was Charakter war, sondern lehrte mich gleichfalls die Freundschaft.

(aus: Die Großkapitäne. Erzählungen, © ERATA 2007 aus dem Portugiesischen von Markus Sahr)

 

 


Ihre Meinung zu den Texten per eMail.

Zum Autor

Zum Übersetzer

Zum Buch !