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Uwe Nösner

Gleichnis

Ich lebe stets auf schmalen Brücken
Und grab mein Werden in den Sand
Der Ufer, bis es ausgespannt
Sich spiegelt auf des Stromes Rücken.

Hier bin ich fremd, nur flüchtig Gast,
Doch lieb ich deine Schwere, Erde,
Zeug Worte ich, zügelnd die Hast
Des Stromes, daß er Spiegel werde.

Ich leihe meinen Worten Bögen,
Setz Säulen, bürgend ihrem Halt.
Noch schweigen, die darüberzögen.
Noch ringe ich um die Gestalt.


Entfaltung

Will keine Silbe meinem Mund ersparen,
Kein Schrittbreit meines Wegs für mich behalten,
Mein Hiersein wachsen fühlen an den Jahren,
Das Leiseste in mir vor euch entfalten.

In allen Strömen lebt ein solch’ Beginnen:
Ein Quellen-Hören und ans Meer Verschwenden.
Dies sei auch mir: Ich will nach Innen
Und mich im Äußersten vollenden.


Die ersten Nächte

Die ersten Nächte, die wir wirr durchwacht,
Besitzen uns wie große erste Lieben.
Einmal erwachen wir und sehn: Sie blieben,
Indes sie uns ganz leise umgebracht.

Wir hatten jeden dunklen Schritt bedacht
Und mußten doch noch vor dem Licht erliegen.
Im Dämmer stritten wir, war Träumen Siegen.
Es schrie die Pflicht: Verloren war die Schlacht.

So gehen wir die müdgewordnen Straßen
Und münden ein in die Unmündigkeit,
Verzehren still, was wir einmal besaßen,

Verbergen stumm die Bücher, die wir lasen
Und streichen unsre Ziele aus der Zeit –
Wie jene tot, die wir in uns vergaßen.

© ERATA 2006

aus: Reise ans Ende des Traums

SO HÜLLTE ER SICH IN SEINEN MORGENMANTEL und glaubte sich in der besten aller Stunden. Im verdunkelten Zimmer wusste er draußen den grellen Tag. Und er wusste es, den Koffer auf den Knien, voller Behagen. Denn nie war, so schien es ihm, die Aussichtslosigkeit so groß gewesen: jede Flasche geleert, jede Kerze niedergebrannt bis auf den Docht, jeder Traum zertrümmert. So öffnete er diesen Koffer, blickte tief auf dessen Grund, tief ins eigene Vergessen. Ein seltsamer Duft strömte ihm da entgegen, der Geruch des Staubes, der Mottenkammer, der Gruft. All das, wovon die Poesie lebt seit den orphischen Tagen, fand Raum in dieser dufterfüllten Leere, diesem Dunkel, dieser Verbor-genheit, in der Verderbtes und Göttliches zugleich zu lauern schien. Er schlug beides aus. Noch kam die Zeit auf Absatzschuhen über die Pflasterhöfe, brachte ihm Tabak und Schnaps und Zeitungen und Romane. Doch schon seit zwei Tagen nicht mehr. Und seit zwei Stunden war die Hoffnung erloschen, dass sie je wiederkäme, ihn einmal noch einholen könnte, ihm das Geschick eines Jahrtausends, das Geschick seines ruhlosen Wanderns, ins Hirn zu gravieren und ihn in einem einzigen Augenblick von aller Wanderschaft zu erlösen. „Alle Länder waren Meer. Als die Mitte des Meeres eine Schöpfrinne war“, zitierte er vor sich hin, schleuderte den Koffer schlechterdings von sich und lehnte sich tief ins Sitzfeld zurück.

© ERATA 2007



 

 

 

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