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Leipziger Literaturverlag rückt Serbien ins Zentrum seines Frühjahrsprogramms

Janina Fleischer, LVZ vom 11. 3. 2011

Wie Kultur und Genuss hier Hand in Hand gehen, sieht der Gast sofort: Es gibt Schokolade, Tee oder getrocknete Beeren. Es gibt Bücher, Sessel und ein großes schwarzes Sofa. "Kultur Genuß Laden" steht schließlich auch über der Tür im Eckhaus Brockhausstraße 56. Wer drinnen sitzt, sieht die Schleußiger ihre Kinderwagen vorbeischieben. Wer reinschaut, kann Bücher entdecken, die er in kaum einem anderen Laden in dieser Zusammenstellung findet. Denn neben den eigenen sind im Kurt-Wolff-Depot auch ausgewählte Titel anderer unabhängiger Verlage zu haben, also das Neueste von Urs Engler, kookbooks oder Sukultur, von Antje Kunstmann oder Wagenbach.

Sie sind es auch, deren Stände sich auf der Buchmesse in Halle 5 um die Leseinsel junger Verlage gruppieren. Eine sympathische Nachbarschaft, findet Viktor Kalinke, der zum siebenten Mal mit eigenem Stand dabei ist. "Wir sind in Leipzig von den Jungen die Älteren", sagt er. Als er 1998 gemeinsam mit der HGB-Absolventin und Buchgestalterin Marion Quitz die Edition Erata in der Kantstraße gründete, zwei Jahre später kam die Galerie dazu, ging es vor allem darum, eigene Projekte zu verwirklichen, konkret: Kalinkes "Studien zu Laozi Daodejing", eine Übersetzung aus dem Chinesischen, für die er keinen Verlag fand. In diesen Tagen erscheint der dritte Band, und seine Übersetzung gelte unter Sinologen als eine der wichtigsten. Eigentlich hätte er den Verlag gern "Volk und Welt" genannt, "weil das gut zu uns passt". Doch die Frage nach den Rechten wurde gar nicht erst beantwortet.

Auch nach dem Umzug nach Schleußig und der Konzentration auf den Namen Leipziger Literaturverlag gibt es Ausstellungen, in denen die Originale der Buch-Illustrationen zu sehen sind. Derzeit sind es Arbeiten des Malers Hubertus Giebe, dessen Essay-Band "Der geschliffene Elfenbeinturm" Widerreden und Würdigungen versammelt und die Mechanismen des Kunstmarktes hinterfragt.

Ein Schwerpunkt des Verlagsprogramms, das Kalinke mit Lektorin Silke Brohm und zwei weiteren Mitarbeiterinnen auf die Beine stellt, sind die literarischen Übersetzungen, meist deutsche Erstveröffentlichungen in ihrer Heimat namhafter Autoren. So hat beispielsweise Ron Winkler Gedichte des Amerikaners Billy Collins ins Deutsche übertragen ("Schnee schaufeln mit Buddha"). Mal schlagen die Übersetzer selbst Titel vor, mal geben Agenten und Mentoren Empfehlungen. Durch einen Tipp kam Kalinke zu Manuel Alegre, einem portugiesischen Dichter und Politiker, der bis zur Nelkenrevolution als die Stimme des Widerstands vernommen wurde und seinen Wahlkampf mit Gedichten bestritten hat. 2007 ist sein Roman "Rafael" im Leipziger Literaturverlag erschienen, übersetzt von Markus Sahr. Zur Lesung im Haus des Buches kamen 50 Gäste, "da war nebenan bei Ingo Schulze natürlich mehr los", erzählt Kalinke.

210 Titel gibt es jetzt insgesamt. Erscheinen normalerweise etwa 20 im gesamten Jahr, liegen diesmal schon im März 14 Novitäten vor. Das hängt auch mit dem Serbien-Schwerpunkt der Leipziger Buchmesse zusammen. 9 der insgesamt rund 30 Neuübersetzungen erscheinen bei Kalinke. Das Aufwendigste seien die Lizenzverhandlungen und das Organisieren von Fördergeldern oder Stipendien für die Übersetzer. Mitunter kommt der Zufall zu Hilfe. Nach einer Buchpremiere in Köln lernte der Leipziger Mirjana und Klaus Wittmann kennen, 2006 für ihre Übersetzung von David Albaharis Roman "Mutterland" mit dem Brücke-Preis ausgezeichnet. Sie haben nun Essays und Prosa Milou0161 Crnjanskis (1893-1977) ins Deutsche übertragen und auch Gedichte von Radmila Lazic. Crnjanski lebte nach dem ersten Weltkrieg als Kulturattaché des Königreichs Serbien in Berlin. Kalinke ist fasziniert von den Aufzeichnungen des "genauen Beobachters", der über das Deutschland der 20er Jahre ins Schwärmen geriet, aber bereits sah, dass der nächste Krieg sich gegen Polen richten wird.

Die Lyrikerin Radmila Lazic ist wie auch die Wittmanns zur Buchmesse im Kulturgenussladen zu erleben. Dem Verleger gefällt ihre "sinnliche und klare Sprache", die "frischen und kräftigen Bilder" einer Dichtung, die leichter zugänglich sei als die "deutschen Verrätselungen". Lazic wird auch beschrieben als "die einzige Katze in der serbischen Poesie, die kratzen kann". Eine andere Besonderheit zeitgenössischer serbischer Literatur sei die Thematisierung des Krieges. In kurzen Gedichten schreibt die Exilantin Verica Trickovic von diesen Erfahrungen und davon, was sie dennoch in Hoffnung gehalten halt.
Auf dieser Landkarte gibt es noch sehr viel zu entdecken und zu erfahren, sagt Kalinke. Der 41-Jährige liebt Begegnungen ebenso wie die Überraschungen, die sie ermöglichen, wenn er den Schreibtischjob des Verlegers gegen die Arbeit des Veranstalters tauscht, wenn in der Brockhausstraße 56 bis in die Nacht gelesen wird und geredet über Texte oder Bilder, darüber, was Kultur zum Genuss macht.

 

 


Foto: André Kempner

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