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Peter Gehrisch

geb. 1942 in Dresden, Mitherausgeber der Zeitschrift für Literatur und Kunst OSTRAGEHEGE, lebt in Dresden und Lwówek Śląski

Veröffentlichungen im Leipziger Literaturverlag

Der glimmende Ring meiner Lichtwissenschaft. Gedichte. Mit Carbonographiken von Gerard van Smirren

 

Hans-Theodors Karneval oder Das Federnorakel. Roman, 2006 - gebundene Ausgabe

Hans-Theodors Karneval oder Das Federnorakel. Roman, 2006 - Broschur

Die Bilder, die Wörter, das Schiff. Roman, 2012

 

Tunnelgänge. Gedichte, 2006 - gebundene Ausgabe

Tunnelgänge. Gedichte, 2006 - Broschur

 

Übersetzungen im Leipziger Literaturverlag

Wojciech Izaak Strugała: Phantasmagorien, 2005 (auch als Hörbuch)

Cyprian Kamal Norwid: Über die Freiheit des Wortes, 2011 Urszula Koziol: Bittgesuche, 2007 Das reicht für eine Irrfahrt durch Polen, 2010 (Anthologie mit mit Texten von Anna Janko, Zbigniew Herbert, Urszula Kozioł, Czesław Miłosz, Wisława Szymborska, Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki u.v.a.)

Weitere Veröffentlichungen

„Dresden. Flug in die Vergangenheit“, Beitrag zur Dokumentarfilmgeschichte, mit Christian Borchert, Verlag der Kunst Dresden, 1993; „Poet’s corner 19: Peter Gehrisch“, Gedichte, Unabhängige Verlagsbuchhandlung Ackerstraße, Berlin 1993; „Das Glücksrad“, Prosa, Hellerau Verlag, Dresden 1994; „Es ist Zeit, wechsle die Kleider. Stimmen aus Polen“, Gedichte (Hrsg., mit Dieter Krause), Literarische Arena, Dresden 1998; „Das Land Ulro nach Schließung der Zimtläden. Stimmen aus Deutschland, Polen, Tschechien und Ungarn“, Anthologie (Hrsg., mit Axel Helbig), Literarische Arena, Dresden 2000; „Zraniony słowem wers / Wortwunder Vers“, Gedichte, poln./dt., Tikkun Verlag, Warszawa 2001; „Orpheus. Gespräch im Wort“, Gedichte dt. und poln. (Mhrsg.), Literarische Arena, Dresden 2001; „Heimkehr in die Fremde. Stimmen aus der Mitte Europas“, Anthologie (Hrsg., mit Axel Helbig und Jayne-Ann Igel), Literarische Arena, Dresden 2002; Cyprian Kamil Norwid: „Das ist Menschensache!...“, Ausgewählte Gedichte, polnisch-deutsch, Dresden 2003; „Orpheus versammelt die Geister. Stimmen aus der Mitte Europas“, Anthologie (Hrsg., mit Axel Helbig), Literarische Arena, Dresden 2006; „Z ust źródeł“ / „Aus Brunnenmündern“, Begegnung der Poesie in Lwówek Śląski (Hrsg., Texte poln., dt., tschech., ukr., niederl.), Literarische Arena, Lwówek Śląski 2006.

Stimmen

Aichleins Wahn und Visionen
"Nach seinem Schelmenroman ist nun ein weiteres autobiografisch gefärbtes Buch erschienen: Peter Gehrisch erweist sich als faszinierender, manchmal etwas schwatzhafter Erzähler, der dem Wort wieder gerecht wird und um seine tiefere Bedeutung weiß ... Der Autor geht von der fundamentalen Tatsache der Bilder aus, die an die vertrauten Dinge anknüpfen und sich zum Wort im Munde des Dichters umbilden und verwandeln. Phantasie und eine Portion Wahnsinn machen das Wesen dichterischer Kreativität aus." Heinz Weissflog, SAX, 06, 2013

Der polnische Lyriker Cyprian Kamil Norwid: Ein literarisches Ereignis
Ulrich M. Schmid, Neue Zürcher Zeitung, NZZM, Samstag, 9. März 2013

"Während andere Autoren durch mühsames Arbeiten das letzte bisschen Lebenssaft aus ihren Texten herausdestillieren, ist Gehrisch etwas Erstaunliches gelungen: ein wissentlich verwirrendes, im besten Sinne groteskes Buch von bemerkenswerter sprachlicher Klarheit und Raffinesse und der Klugheit eines Dichters, der sich im Alter die Verrücktheit leistet, weise zu sein." Undine Materni, Sächsische Zeitung vom 22. 1. 2013

"Zu etwas Besonderem wird dieses Buch [Die Bilder, die Wörter, das Schiff] nicht zuletzt, weil es beeindruckendes Beispiel eines bewusst nichtrealistischen Erzählens ist. Ein literarisches Gegenbeispiel zu einer nur scheinbar sicher gefügten Welt, ein Plädoyer für stetigen Wandel un die Kraft der Phantasie." Tomas Gärtner, Dresdner Neueste Nachrichten vom 15. 1. 2013

Ein bisschen zu viel von der Engelstrompete: Die seltsamen Kopf-Reisen des Einarr Aichlein
Ralf Julke, L-IZ vom 01.01.2013

Peter Gehrisch und die faszinierende Lyrik nebenan: Eine ganz besondere Irrfahrt durch Polen
Ralf Julke, L-IZ vom 14.01.2011

 

Angst und Kommunikationsnot als Ausgangspunkt ambivalenter Metaphorik

Peter Gehrisch lebt heute in Lwówek Śląski (Polen) und Dresden. In beiden Orten traf ich ihn im Juni 2006 für dieses Gespräch. Peter Gehrisch ist seit vielen Jahren ein Freund. Ich bewundere ihn für die Energie, mit der er sich insbesondere für den deutsch-polnischen Kulturaustausch einsetzt, als Organisator und Übersetzer. Thema unseres Gesprächs war sein soeben erschienener Roman, von Gehrisch kurz „Das Federnorakel“ genannt. Es mag verwundern, daß einer die Groteske wählt, um das Trauma seiner Kindheit literarisch zu bewältigen. Vielleicht ist es aber auch folgerichtig. Gehrisch beruft Grimmelshau-sen als Kronzeugen. „Offenbar folgt dieser Fokus einer Notwendigkeit, um die Absurdität des Gesche-hens überhaupt begreifen zu können“, sagt Gehrisch. „Im Grunde genommen sind ja alle Erscheinungen der Welt grotesk, die Spitze bildet jedoch der Krieg, das Grausame, das grausame Unvorstellbare.“ Unser Gespräch kreist um die Themen Groteske und Sprachfindung. Gehrisch ist von Haus aus Lehrer und hat Legionen von Schülern zu Sprachfindung verholfen. Wer sollte also eher prädestiniert sein, das Thema Sprachfindung in einem Entwicklungs-Roman aufzugreifen. Im Gespräch wird deutlich, daß das, was sich scheinbar mühelos als groteskes Sprechen seiner picarischen Helden geriert, schwer erarbeitet worden ist. Ganze Bibliotheken der grotesken Literatur wurden verdaut, dazu die Bibliothek der litera-rischen Moderne und die Phänomenologie Edmund Husserls, fußend auf dem Fundament der Kantischen Philosophie. Als Lyriker sieht sich Gehrisch ganz in der Tradition des Expressionismus. Trakl, Heym und Stramm sind wichtige Bezugspunkte. Aber auch Hofmannsthals Lord-Chandos-Brief. Daß „die Worte wie modrige Pilze auf der Zunge zerfallen“ können, daß also die Kommunikation zu scheitern droht, ist eine der prägenden Grunderfahrungen Gehrischs – als Lehrer im totalitären System DDR und als Dichter.

Axel Helbig: Herr Gehrisch, ich würde zunächst gern über Ihren in diesem Jahr erschienenen Roman „Hans-Theodors Karneval oder Das Federnorakel“ sprechen. In der Art des Schelmenromans wird die Geschichte von Hans-Theodor Schnakenburg erzählt, „dem Jungen, der die turbulenteste Karnevalsnacht, die die Welt jemals sah, in ihrer Totale durchlitt und weiterhin leidet.“ Gemeint ist jene Faschingsnacht des 13. Februar 1945, in der Dresden in Schutt und Asche gelegt wurde, ein Tag, den Sie als Kind selbst miterlebt haben. Zunächst überrascht die heute nahezu als gewagt anzusehende formale Anbindung des Romans an die Tradition des frühbarocken Schelmenromans à la Rabelais und Grimmelshausen. Welche Beziehungen haben Sie zur Groteske? Wie entstand die Idee, den Roman formal als Groteske zu gestalten?

Peter Gehrisch: Das Groteske hat mich früh angezogen – etwa die Bilder von Hogarth, Goya und Grandville, oder in der Literatur Grimmelshausen, Gogol oder Sebastian Brant. Auch die Tatsache, daß in der Groteske das Menschliche und das Tierische oft verschmelzen.
Es war ursprünglich nicht meine Absicht, eine Groteske zu schreiben. Ausgangspunkt waren Aufzeichnungen zur Kindheit, wobei die Bombardements auf Dresden ein zentra-les Motiv darstellten. Die Suche nach einem geeigneten Stil, diese Aufzeichnungen in eine Romanform zu bringen, fiel geschichtlich betrachtet in die Zeit des Zusammenbruchs des kommunistischen Weltsystems, die von vielen auch als eine Zeit der Desillusionierung empfunden wurde. Parallel beschäftigte ich mich intensiv mit einigen polnischen Lyrikern und entdeckte v. a. bei Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki die Verbindung mit Elementen der picarischen Literatur. Ich las dann „Lazarillo de Tormes“ und Rabelais’ „Gargantua und Pantagruel“. Diese Parallelitäten haben vermutlich den Blick auf die Groteske gelenkt.

Axel Helbig: In dem der Romanhandlung vorangestellten „Proöm“ steht, „die absurde Sprache macht mir die Dinge weis“.

Peter Gehrisch: Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Dies rekuriert, wenn man so will, auf die Philosophie von Edmund Husserl. Es gab seit jeher zwei Betrachtungswinkel im Sinne des Begreifens von Welt. Die Betrachtungsweise, ausgehend von einem Ich, und die objektive Betrach-tungsweise, indem das Sein als Ausgangspunkt angesehen wird. Husserl durchbricht die tradierte Philosophie auf eine interessante Weise. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vertritt er plötzlich die These, daß nicht das Subjekt und das Objekt das Entscheidende über die Welt aussagen, sondern daß jener Punkt betrachtet werden müsse, der zwischen Subjekt und Objekt steht. Dieser Punkt ist schlechthin das Zeichen oder die Ansammlung von Zeichen. Wie schon Kant festgestellt hat, ist es uns nicht gegeben, die Dinge unmittelbar zu erkennen, sondern wir können sie nur per Zeichen erkennen. Wir bezeichnen einen Gegenstand und diese Bezeichnung speichern wir in unserem Gedächtnis. Und mit dieser Bezeichnung pflegen wir dann Umgang. Die Sprache selbst ist es, die uns die Dinge weismacht, nicht die Dinge selbst, die erst bezeichnet werden müssen. Damit hängt im übrigen die ganze Absurdität menschlichen Strebens zusammen. Der Mensch muß sich über die Sprache sein Bild von der Welt verschaffen, über die von Kant beschriebenen Konstanten Zeit und Raum hinaus, bis hinein in die Kausalität. Bisher ist es keinem Men-schen gelungen, eine bis ins Letzte durchdringende Klarheit über die Dinge oder auch nur die gesellschaftlichen Prozesse zu erringen. Und das ist das Dilemma.

Axel Helbig: Ein anderes Dilemma könnte in der Frage bestanden haben, ob sich die Mittel und Formen der Grotes-ke eignen, solche erschütternden Vorgänge wie die Bombardements auf Dresden darzustellen? Wie bei Grimmelshausens „Simplicissimus“ steht im „Federnorakel“ ein Kind dem Chaos dieser Welt gegenüber und muß dies für sich in Begriffe bringen?

Peter Gehrisch: Auch bei Grimmelshausen ist die Grunderfahrung Krieg der Ausgangspunkt. Es wird gefoltert, vergewaltigt, das Haus wird angezündet. Über den ganzen Roman hin gibt es erschütternde Botschaften des Krieges und der Verwüstung der Seele. Offenbar folgt dieser Fokus einer Notwendigkeit, um die Absurdität des Geschehens überhaupt begrei-fen zu können. Das Bombardieren von wehrlosen Zivilisten, von Kindern und Frauen, diese Totalität des Krieges, entzieht sich – zumal für ein dreijähriges Kind – allen Begrif-fen und allem Begreifen. Daraus resultiert eine Fassungslosigkeit, die das Denken über Jahrzehnte prägt. Im Grunde genommen sind ja alle Erscheinungen der Welt grotesk, die Spitze dieser Erscheinungen bildet jedoch der Krieg, das Grausame, das grausame Unvor-stellbare. Das Wahrnehmungsvermögen des Menschen wehrt sich dagegen, dies anzu-nehmen, weil es aller vertrauten Erfahrung widerspricht. Ich habe den Krieg als einen gewaltigen Schlag auf die Psyche erfahren. Merkwürdigerweise hat man das aber verkraf-tet – sozusagen im Schutzmantel der Familie, im Schutzmantel von konventionellem Denken und Ordnen der Begriffe. Was allerdings nicht vor Angstträumen, lang anhalten-den Alpträumen, bewahrte. Die Abarbeitung dieser traumatischen Erfahrungen – Mit-scherlich nennt sie Trauerarbeit – findet erst allmählich statt.

 

Lesen Sie das gesamte Gespräch im Interviewband "Der eigene Ton", hg. von Axel Helbig.

 

 

Leseprobe

Zu den Büchern:
- Hans-Theodors Karneval
- Tunnelgänge
- Die Bilder, die Wörter, das Schiff
- Der glimmende Ring Lichtwissenschaft

Übersetzungen:
- Strugala, Phantasmagorien
- Koziol, Bittgesuche
- Irrfahrt durch Polen
- Norwid, Freiheit