Zurück zur Bibliografie

 


Carlos A. Aguilera

In China sind die Landstraßen aus Schlamm. Der Schlamm ist rot und wenn er hart wird, sieht er aus wie eine flache Tonskulptur. Am Stadtrand von Peking gibt es eine Gegend, wo der Schlamm grau ist. Diesen Ort nennen sie “runde Emailvase”.

Die Landstraßen sind lang. Man könnte aber auch sagen steil, eng.

Es gibt zwei Fahrstreifen: Der linke für die Fußgänger mit einer unsichtbaren Trennlinie, die alle beachten. Der rechte für die langen, in der Republik hergestellten Lastwagen. Wenn man mit dem Auto (zum Beispiel mit einem Oldsmobile, Jahrgang 1975) auf diesen Landstraßen fahren möchte, muß man eine Woche davor eine staatliche Bewilligung beantragen. Falls man das nicht tut, wird man angehalten, abgestraft und auf den Polizeiposten des Distrikts gebracht. Dort wird einem dann der Führerschein für einige Monate entzogen.

Die chinesischen Straßen sind sehr komplex. Es gibt Landstraßen und Bergstraßen. Die ersten drei Tage, nachdem wir Peking verlassen hatten, befanden wir uns auf Bergstraßen. Diese Straßen machen einem das Leben schwer. Nicht nur wegen ihrer anhaltenden Vertikalität, sondern auch wegen des Nieselregens, des Nebels und weil sie sich unendlich ziehen.

Natürlich, für einen Chinesen ist alles viel einfacher. Michaux zufolge gibt es im Westen ein Sprichwort, das besagt: Nur ein Chinese kann eine Linie am Horizont zeichnen. Nachdem wir drei Tage auf der Peking-Stadtrand-Straße von Peking bergauf gefahren waren, konnte ich nicht aufhören, dieses Sprichwort zu wiederholen.
Auf den Bergstraßen ist die Reise kürzer. Wenn wir drei Tage auf der Bergstraße gebraucht haben, um aus Peking hinauszukommen, hätten wir auf den Landstraßen, die manchmal noch steiler und kurviger sind, fünf Tage gebraucht. Der einzige Unterschied besteht darin, daß die Landstraßen asphaltiert sind.

Eine Bergstraße führt zu zwei oder drei Landstraßen. Im Allgemeinen führt die eine weiter geradeaus auf der Suche nach irgendeinem Dorf oder Museum. Die andere führt zurück auf eine Ebene oder zu einem Mauerstück und eine weitere zweigt von der ersten ab und verliert sich in irgendeiner Richtung.

Laut Großmongol, dem vom Kulturministerium der Republik bereitgestellten Chauffeur, münden diese Straßen, die nach einem verlorenen Dörfchen im Nichts zu enden scheinen, wieder zurück in die Hauptverkehrsader des Tals und bilden auf diese Weise eine Schlange mit großen und kleinen Ringen, die sich über das ganze Land erstreckt.

Das große Problem der Bergstraßen ist der Schlamm. Wenn es regnet, wird der Weg unpassierbar. Wenn nicht, wird er wegen der Erde, die feiner ist als irgendeine Bodenprobe, die wir im Westen kennen, so rutschig, daß es sowohl für die Menschen als auch für die Autos unmöglich ist weiterzukommen.

An einem sehr sonnigen Tag sahen wir eine Kolonne von zehn ineinander verkeilten Lastwagen, die dahinschlitterten und nichts anderes tun konnten, als versuchen sich irgendwo anzuhalten.

Auf den Bergstraßen gibt es Steine. Nicht kleine Steine oder solche zum Ausruhen. Große Steine. Steine von der Größe eines Hauses, auf die ein Westler nur kletternd hinauf käme.

An diesen Orten lebt zur Freude der Reisenden der China-Affe. Ein Mann, der nur auf seinen Armen die Bergfelsen erklimmt, ohne die Beine zur Hilfe zu nehmen. Wenn er oben ankommt, hüpft er herum, als ob sich diese “Heldentat” nie mehr wiederholen würde.

Diese Steine machen die Landschaft schöner. Sie lassen sie rauh erscheinen, und wenn man sie aus der Nähe betrachtet, riechen sie nach Blei, nach Kuhscheiße und Blei. Aus der Entfernung sehen sie aus, als wären sie aus Pappe.

Im Westen denkt man bei einer Landschaft an Grün, an Grasflächen mit Flüssen, Lagunen, Bergen etc., in China nicht. In China ist die Landschaft geistig. Die Steine verwandeln sich in kleine Gehirne, die beobachten und die Augen können nicht eine Minute ausruhen, sie wachen.

Einmal sahen wir auf dem Weg von Schexuon nach Huangtscheihuan, wie sich mehrere Leute gegenseitig ohrfeigten, zu erwürgen versuchten, und einer lief bis zum Bergrand (Abgrund), öffnete die Arme und sprang. So weit man weiß, ist diese Art von Selbstmord in der Republik sehr häufig. Man nennt ihn Bewegungsverrenkung zum Schlaf.

Auf den Bergstraßen gibt es Stände mit Frittiertem. Diese Stände werden von Menschen betreut, die die typische Kleidung der Region tragen und mit leiser Stimme singen, während die Gäste ihre Finger in süßsaure Soße tunken und sie zum Mund führen.

Die Stände sind klein. Sie bieten nur für zwei Personen und einen Grill mittlerer Größe mit rechteckigen Kohlenstücken Platz. Wenn der Verkäufer bedient, hockt sich die Frau auf einen Holzschemel und sieht zu. Später eilt sie hinzu und bietet xixem an und perlmuttfarbene Stäbchen. Diese Stäbchen, sagten sie, bevor sie sich zurückzogen, bedeuten good luck, und sie schenken sie allen, die sie besuchen.

Deswegen sind diese Stände so bekannt und finden sich in der ganzen Republik wieder.
In der Nacht werden sie von verschiedenfarbigen Glühbirnen erleuchtet.

Aus dem kubanischen Spanisch von Udo Kawasser, aus: Theorie der chinesischen Seele, © ERATA 2007

 

 


Ihre Meinung zu den Texten per eMail.

Zum Autor

Zum Übersetzer

Zum Buch !